Neuartige Lösungen für automatisierte Greifprozesse
Anders greifen
Roboter, die Produkte oder Bauteile greifen, bilden die Basis für eine Vielzahl an automatisierten Prozessen in der Industrie: vom klassischen Pick&Place, über das Handling und die Maschinenbeschickung bis hin zum Picking von Waren in der Kommissionierung. So vielseitig wie die Anforderungen der Anwendungen ist auch das Greiferangebot auf dem Markt. Spannende Neuvorstellungen in diesem Bereich erlauben jetzt mehr Flexibilität, ermöglichen das Greifen außergewöhnlicher Bauteilgeometrien oder den Einsatz in besonders anspruchsvollen Bereichen.

Ein Forscherteam von der Universität des Saarlandes hat kürzlich einen Sauggreifer vorgestellt, der auf den Einsatz von Druckluft verzichtet sowie stromsparend, leise und reinraumtauglich ist. Dabei kommen künstliche Muskeln zum Einsatz: Drahtbündel aus der Legierung Nickel-Titan, die über ein Formgedächtnis verfügen und sich an- und entspannen können. Die Drähte merken per Sensor, wenn der Vakuumgreifer nachfassen muss. Das Vakuum selbst wird hierbei mithilfe kurzer Stromimpulse erzeugt, jeweils zum Schließen bzw. Lösen des Greifers. Für das Halten selbst wird kein Strom benötigt. Sobald die Entwicklung marktreif ist, sollen sich viele Aufgaben lösen lassen, die bisher nicht automatisiert werden konnten. Einen Schritt weiter sind die im folgenden vorgestellten Greiferlösungen, denn sie sind bereits auf dem Markt erhältlich.

Greifen wie ein Gecko
Auf den Einsatz von Druckluft verzichtet auch ein neuer Greifer, den die Partner Innocise und Schunk auf den Markt bringen. Die Inspiration für die neuen Adheso-Modelle kam aus der Natur: Geckos haben Millionen winziger Härchen an den Füßen, die sich an Oberflächenmoleküle binden. So können sie sich in Windeseile über glatte Flächen bewegen und auch kopfüber ihr ganzes Körpergewicht halten. Dieses Adhäsion genannte Prinzip nutzen auch neue Haftgreifer, die aus der Kooperation der beiden Firmen hervorgegangen sind. Individuell angepasste Kunststoff-Pads aus Spezialpolymeren bilden die feine Härchenstruktur nach. So haften sie sicher an unterschiedlichen Materialien und können Teile ohne Druckluft, Vakuum oder Strom halten. Damit haben die Greifer das Potenzial, den Energieverbrauch in Automatisierungsprozessen zu reduzieren. Für die sparsame Lösung hat Schunk den Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt in der Kategorie ‚Umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen‘ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erhalten. Auf der Automatica konnten sich die Besucher erstmals einen Eindruck von der neuen Lösung verschaffen und die Geckogreifer an unterschiedlichen, auch selbst mitgebrachten Gegenständen ausprobieren. Spannende Anwendungsfelder sieht Schunk etwa bei der Herstellung von Batterie- und Brennstoffzellen, in der Medizin- und Pharmabranche oder in der Elektroindustrie.

Selbstanpassungsfähige Greifkissen
Das Unternehmen Formhand Automation hat selbstanpassungsfähige Greifkissen entwickelt, die sich an die Geometrie und Oberfläche der Objekte anpassen. Damit ist es nicht mehr nötig, für jedes zu greifende Bauteil einen eigenen Greifer zu nutzen. Die Kissen können zudem Objekte aufnehmen, die ein herkömmlicher Greifer nicht oder nur sehr eingeschränkt handhaben kann, z.B. biegeschlaffe Textilien oder Folien. Die Formhand-Lösung besteht aus einem weichen, mit Granulat gefüllten Kissen, das sich an unterschiedliche Formen anpassen kann. Ein elektrisch erzeugter Luftstrom komprimiert das Granulat in der individuellen Außenform und saugt das Objekt vollflächig an. Der modulare Aufbau erlaubt eine Anpassung an die anwendungsspezifischen Wünsche der Anwender. Das Portfolio umfasst bereits verschiedene Modelle. Mit einer rechteckigen, ungefähr DINA4-großen Greiffläche kann das Modell FH-E3020 Gewichte bis zu 25kg heben. Durch die Kombination mehrerer Kissen sind sogar noch höhere Lasten möglich. Das runde Greifermodell FH-R150 überträgt die Greifkraft auf die gesamte abgedeckte Oberfläche des zu greifenden Objekts und kann 8kg handhaben. Das Greifmodul ist mit einem Schnellverschluss am Rahmenmodul befestigt, wodurch das Kissen schnell gewechselt werden kann. Das kompakte Modell FH-R80 eignet sich besonders für den Einsatz an Cobots und Leichtbaurobotern. Mit seiner runden Greiffläche, die sich dem Objekt anpasst, lassen sich sogar stark konturierte Teile aus dem 3D-Druck greifen. Kratzer oder Beulen werden vermieden und auch sensibles Material lässt sich vorsichtig aufnehmen.
Ein Greifer – viele Greifobjekte
Der Aspina-Robotergreifer setzt auf drei elektromotorisch bewegbare Finger, um eine Vielzahl an unterschiedlichen Objekten bzw. Geometrien zu greifen. Über die integrierten Motion-Control-Funktionen lassen sich Kraft, Geschwindigkeit und Position flexibel einstellen. Dabei ermöglichen es die austauschbaren langen Finger, sowohl große, als auch sehr kleine Bauteile aufzunehmen. Die Traglast reicht bis ca. 3kg. Der hohle Greiferschaft erlaubt die Integration von Druckluft-Tools, Kameras oder zusätzlicher Sensorik. Mit seinen Eigenschaften passt der Aspina-Greifer für eine Vielzahl an Applikationen, etwa in der Montage, bei Picking-Anwendungen sowie in der Lebensmittel-, Medizin- und Kosmetikindustrie. Mit seinem Flansch lässt sich der Greifer unkompliziert und schnell an Cobots und Leichtbaurobotern verbauen, so z.B. an die Kinematiken von UR. Da der Greifer für so viele unterschiedliche Objekte einsetzbar ist, lohnt sich auch eine Automatsierung bei überschaubaren Losgrößen. Umrüstzeiten lassen sich stark reduzieren. Genauso auch die Kosten der Gesamtanwendung, da keine weiteren Greifer und Adapter benötigt werden. Im Zweifel reicht der Austausch der jeweils zum Objekt passenden Finger.

Fit für aseptische Anwendungen
Automatisierte Handhabungsaufgaben im Pharma- und Biotech-Segment stellen außergewöhnliche Ansprüche an die eingesetzte Technik. Einen Greifer, der genau auf diese Anforderungen ausgelegt ist, hat das Unternehmen Weiss kürzlich vorgestellt. Das Modell Sterigrip 200 im Hygienic Design entspricht Schutzklasse IP65 sowie ISO-Klasse 3 und erfüllt mit seiner Reinheitszertifizierung besser GMP Class A selbst besonders hohe pharmazeutische Vorgaben. Die verwendeten Obermaterialien sind FDA-konform und kompatibel zu allen gängigen CIP/SIP-Prozessen. Die durchgängige Oberflächengüte und das Hygienic Design vereinfachen die Dekontamination und schützen die gegriffenen Bauteile vor Verunreinigungen und Wirkstoffverschleppungen. Das Greifmodul verfügt über eine hochgenaue Greifteilerkennung und -überwachung, die externe Sensorik überflüssig macht. Die sensorlose Greifkraftregelung sorgt für stabile Verhältnisse und eine hohe Zuverlässigkeit des Greifprozesses, insbesondere bei empfindlichen und schwierig zu handhabenden Teilen. Für Freiräume beim Design der Aufnahme- und Ablagepositionen sorgt die Vorpositionierbareit der Finger. Zum Schutz des Greifguts sowie der Anlage verfügt der Sterigrip-Greifer über eine integrierte Greifkraftsicherung. Sie schützt vor einem Herausfallen des Objekts bei einer Unterbrechung der Energiezufuhr und ermöglicht ein Weiterarbeiten ohne manuelle Eingriffe, sobald die Stromversorgung wiederhergestellt ist. Das Greifmodul verfügt über einen integrierten Flanschadapter zur direkten Montage an Stäubli-TX2-Roboter. Die Kommunikation mit der übergeordneten Steuerung erfolgt über IO-Link.