Offene Steuerungstechnik für die Produktion von Backwaren

Baumkuchen 4.0

Bei japanischen Robotern denken viele an Großroboter in Produktionsstätten, kollaborative Roboter sowie Anwendungen im Gastronomie- und Pflegebereich. Eine automatisierte Lösung für die Lebensmittelherstellung hat aber der Süßwarenhersteller Juchheim vorgestellt. Hier backt ein automatisierter Ofen hochwertige Baumkuchen, gesteuert von einer kompakten IPC von Beckhoff mit Twincat und unterstützt durch eine KI-Anwendung. Bei der Entwicklung des Steuerungssystems inklusive Integration eines Roboters von Denso Wave unterstützte außerdem das Ingenieurbüro Matsuura Denkosha.
Mit PC-based Control und KI-Unterstützung kann Juchheim an all seinen Standorten Baumkuchen in Konditormeister-Qualität anbieten.
Mit PC-based Control und KI-Unterstützung kann Juchheim an all seinen Standorten Baumkuchen in Konditormeister-Qualität anbieten.Bild: © iStock.com / kuppa_rock

Das Unternehmen Juchheim wurde 1909 gegründet und ist seit 1922 in Japan präsent. Der Süßwarenhersteller betreibt mit Verwaltungssitz in Kobe als Anbieter im oberen Baumkuchen-Segment über 350 Filialen in Japan und Singapur. Seit Gründung des Unternehmens backen die Konditoren nach demselben Rezept – ohne jegliche Lebensmittelzusatzstoffe.

„Das Backen von Baumkuchen erfordert fortgeschrittene Fähigkeiten und Erfahrung des Konditors“, betont Matsumoto, Geschäftsführer des Juchheim-Zentralwerks. Wenn sich jedoch die Parameter des Ofens erfassen und remote einstellen sowie der Backgrad präzise anzeigen lassen, können die Konditormeister von Juchheim lokale Maschinen aus der Ferne steuern und so qualitativ hochwertige Baumkuchen herstellen. „Mit dem automatisierten Ofen Theo geht Juchheim noch einen Schritt weiter“, so Yokoyama, Berater von Juchheim. „Durch integrierte KI können mit dem Knowhow der Konditormeister Baumkuchen überall auf der Welt mit der gleichen Juchheim-Qualität gefertigt werden.“ „Die Idee für Theo stammt ursprünglich von Hideo Kawamoto, dem Präsidenten von Juchheim,“ ergänzt Matsumoto.

Parallel zur Entwicklung des Robotersystems plante das Unternehmen den Bau eines neuen Gebäudekomplexes zum Thema Lebensmittelinnovation – das Baum-Haus in Sakae, Nagoya. Bestandteil des Konzepts war auch ein gläsernes Backstudio, das mit Theo zu einem vollautomatisierten Baumkuchenstudio weiterentwickelt wurde.

Der Roboter erledigt das Abstreifen des Teigs nach dem Auftragen einer neuen 
Baumkuchenschicht sehr präzise.
Der Roboter erledigt das Abstreifen des Teigs nach dem Auftragen einer neuen Baumkuchenschicht sehr präzise.Bild: Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

Mit PC-based Control zu 13 Teigschichten

Das Herstellungsverfahren eines Baumkuchens ist an sich einfach: Ein rotierender Kernstab wird immer wieder mit flüssigem Teig bestrichen und in den Ofen geschoben – bis 13 Teigschichten gleichmäßig gebacken sind. Vor dem Backen müssen Teigbehälter und Kernstab zum Ofen transportiert und in ihn hineingeschoben werden. Was normalerweise Bedienpersonal erledigt, lässt sich per Förderband und Roboterarm vergleichsweise einfach automatisieren. Das Backen selbst erfordert jedoch einen Experten. Dessen Fertigkeiten repliziert Theo mithilfe von künstlicher Intelligenz. Für diese Aufgabe wählte Juchheim das Ingenieurbüro Matsuura Denkosha als Entwicklungspartner aus. Das Unternehmen verfügt nicht nur über Knowhow im Bereich KI, sondern auch über umfangreiche Erfahrungen in der Steuerung von Knickarmrobotern. „Die Baumkuchenanlage besteht aus drei Theo-Öfen, einem vertikalen Knickarmroboter und einem Förderband, das die Teigbehälter und Stangen transportiert“, erklärt Kitano, Geschäftsführer von Matsuura Denkosha. Alle Komponenten werden von einem Kompakt-Industrie-PC C6030 mit Intel-Core-i7-CPU von Beckhoff und über Ethercat gesteuert.

Das im Baum-Haus installierte System ist fast vollständig automatisiert. Der Bediener muss nur noch den Baumkuchenteig und die Kernstäbe vorbereiten und auf das Förderband legen, einen der drei Öfen am Bedien-Panel auswählen und den Backvorgang starten. Danach transportiert das Förderband Teigbehälter und Kernstab automatisch an die angegebene Position. Der Roboter nimmt Behälter und Stab auf und legt sie vor dem Ofen ab. Dann beginnt der Roboter, den Kernstab mit Teig zu ummanteln und die Schichten nacheinander aufzutragen. Die im Ofen implementierte KI-Funktion überwacht den Backvorgang und sorgt für den bestmöglichen Gargrad.

Kitano erklärt: „Vorteil des Beckhoff-IPC und von Twincat ist die Echtzeitsteuerung des Ablaufs über Ethercat und die Integration von Windows.“ In diesem System steuert die Twincat 3 PLC das Förderband, die Drehung des Ofens sowie das Öffnen und Schließen der Tür durch präzise mit der Roboterbewegung synchronisierte Ethercat-Antriebe und -Motoren. Darüber hinaus bietet der IPC eine hohe Skalierbarkeit, um auch eigene Windows-Anwendungen zu verwenden, sowie die Möglichkeit zur Remote-Systemwartung. Die I/O-Komponenten von Beckhoff spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Schließlich sind viele Sensoren und Kameras einzubinden. Durch das kompakte Gehäuse und das breite Spektrum der Ethercat-I/Os konnte der Systemintegrator Schaltschrankplatz einsparen und den Engineering-Aufwand reduzieren.

Ein Beckhoff-IPC C6030 steuert nicht nur die Förderanlagen und Ofentüren über Twincat. Auch das 
antrainierte KI-Modell läuft darauf unter Windows.
Ein Beckhoff-IPC C6030 steuert nicht nur die Förderanlagen und Ofentüren über Twincat. Auch das antrainierte KI-Modell läuft darauf unter Windows.Bild: Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

KI-Inferenz und SPS auf einer Plattform

Die KI-Funktion läuft als Windows-Anwendung auf demselben IPC. „Wir nutzen multimodale KI-Technik, um den Zustand des Baumkuchens zu überwachen“, betont Kitano. Dazu sind vor jedem Ofen Hochleistungskameras installiert, die Bilder der Kuchenoberfläche aufnehmen. Diese Daten werden mit weiteren Sensordaten, unter anderem von Strahlungspyrometern, verknüpft. Das auf einem Convolutional Neural Network (CNN) basierende KI-Modell, das zuvor in Python in einer separaten Umgebung trainiert wurde, ist im IPC als Windows-Applikation implementiert.

Mit der Anzahl der Teigschichten vergrößert sich der Durchmesser des Baumkuchens. Entsprechend variieren verschiedene Parameter, wie der Abstand zur Ofenwand und die Backzeit, die erforderlich ist, um den passenden Gargrad einer Teigschicht zu erreichen. Es handelt sich um einen äußerst heiklen Prozess, der eine sorgfältige Überwachung der Backbedingungen bis zur Herausnahme aus dem Ofen zum bestmöglichen Zeitpunkt und für das Auftragen der nächsten Teigschicht erfordert. Außerdem muss die Teigoberfläche mit einem Spachtel geglättet werden, damit der Baumkuchen seine charakteristische zylindrische Form erhält.

Um den Backprozess eines Konditormeisters zu reproduzieren, werden normalerweise fünf bis sechs Chargen Baumkuchen benötigt. Eine Charge erfordert 30min zum Backen, sodass die Gesamtzeit für die Datenerfassung bei etwa 3h liegt. „Auf Grundlage dieser begrenzten Datenmenge dauert es ca. 20h, das KI-Modell zu trainieren, einschließlich der abschließenden Tests“, erklärt Kitano.

Im Betrieb prüft der KI-Ofen Theo die Bilddaten der Kamera und die Daten weiterer Sensoren in Echtzeit, um den Zustand des Baumkuchens zu bestimmen: Ist eine Teigschicht im passenden Zustand, wird das an die Steuerung zurückgemeldet. Twincat stoppt dann die Drehung des Teigrohrs und öffnet die Tür, damit der Roboter den Baumkuchen herausnehmen kann. Die Gesamtzeit, die von der Dateneingabe in das trainierte Modell über die Inferenzausgabe bis hin zur Rückmeldung an die Steuerung benötigt wird, beträgt rund 100 bis 200ms. Dazu Kitano: „Diese für KI-Anwendungen sehr schnelle Reaktionszeit ist möglich, weil KI-Inferenz und SPS in einer Steuerungsplattform, dem Beckhoff-IPC, integriert sind.“

Eine weitere technische Herausforderung ist die konstante Beschichtung der Teigrollen mit der gleichen Teigmenge. Dazu steuert Twincat die passende Position und den Winkel der Drehstange, damit der Roboter für jede Schicht genau die gleiche Teigdicke auftragen kann. Das ist ein großer Vorteil gegenüber dem manuellen Vorgang, da der Materialverlust reduziert wird. „Unter diesem Gesichtspunkt ist Theo ein besserer Baumkuchenbäcker als ein Meister“, betont Yokoyama. Für eine gleichbleibende Qualität müssen neben dem Backen auch die anderen Bedingungen stabil sein, das heißt der Teig sollte immer gleich sein. „Wird die Teigrezeptur geändert, funktioniert das trainierte Modell nicht mehr perfekt“, so Yokoyama weiter. Dann muss in Zusammenarbeit mit dem Konditormeister ein neues Inferenz-Modell auf Grundlage des geänderten Teigs erstellt werden.

Steuerungsflexibilität erleichtert Anpassungen

Während des Pilotbetriebs im Baum-Haus wurde die Systemkonfiguration angepasst: Die Position des Sicherheitslichtvorhangs und das Layout des Förderbands wurden geändert, um den Arbeitsablauf für die Bediener zu verbessern. Das ließ sich durch den hohen Freiheitsgrad der Ethercat-Topologie einfach realisieren. Auch die Systemupdates waren mithilfe der flexiblen Engineering-Plattform Twincat ohne großen Aufwand konfigurierbar.

Im Baum-Haus ist das einzige automatisierte Baumkuchenstudio mit KI-Öfen, Förderbändern und Robotern installiert. Mehrere eigenständig arbeitende Öfen mit KI-Funktion (Theo) sind hingegen landesweit in Betrieb – sogar als mobile Baumkuchenstudios. Zudem baut Juchheim seine Aktivitäten aus, wie Matsumoto erläutert: „In der Entwicklung sind ein Modell zum Backen von Teig auf Schokoladenbasis sowie eine Anlage mit kompakten Vertikal-Knickarmrobotern.“

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