Im November 2022 eröffnete im Europa-Park, Deutschlands größtem Freizeitpark im badischen Rust, das Eatrenalin – ein futuristisch anmutendes Gastronomie-Erlebnis für alle Sinne. In gut zwei Stunden erleben die Gäste dabei nicht nur ein spektakuläres Gourmet-Ereignis in Form eines Acht-Gänge-Menüs, sondern eine ebenso sinnliche wie überraschende Reise vom Meeresgrund bis in den Weltraum. Möglich macht dieses Feuerwerk für die Sinne ein abgestimmtes Zusammenspiel von Multimedia-Content, gastronomischer Spitzenleistung und, nicht zuletzt, Hightech-Antrieben.
Floating Chairs als Kernelement
Selbst für die Fahrgeschäfte-Konstrukteure von Mack Rides war Eatrenalin ein außergewöhnliches Projekt, ging es doch einmal nicht in erster Linie um rasende Geschwindigkeiten. Ganz im Gegenteil: Gefragt war eine vollautomatisierte Lösung, die die Gäste unauffällig, aber höchst komfortabel durch die sieben Etappen der Gastro-Experience befördert. Anders gesagt: ein Fahrzeug, in dem man das Gefühl hat zu schweben.
Konkret sollte sich das Fahrzeug autonom, mit hoher Laufruhe und völlig mobil in alle Richtungen zentimetergenau fortbewegen können, ohne dabei auf störende Schienen oder auf Induktionsschleifen im Boden angewiesen zu sein. Am Ende des Entwicklungsprozesses stand schließlich eine patentierte Neuentwicklung: der Floating Chair (wörtlich: schwebender Sessel). Konkret handelt es sich um eine Kombination aus Sessel und zwei Beistelltischchen, die auf einer fahrbaren Plattform montiert sind.
Jeweils 16 Gäste bewegen sich in ihren Floating Chairs gemeinsam als Gruppe. Eine Software gibt dabei exakt die Bewegungen für jedes einzelne Fahrzeug vor, wobei sich die Choreografie frei programmieren lässt.
Antrieb als zentrale Herausforderung
Eine zentrale Herausforderung im Konstruktionsprozess war der Antrieb der Räder für die rund 320kg schweren Floating Chairs. Genau gesagt, handelt es sich um drei Mecanum-Räder, zwei vorne und eins hinten. Durch drehbar gelagerte tonnenförmige Rollen, die im Winkel von 45° zur Achse des eigentlichen Rads angebracht sind, erlaubt dieses Prinzip omnidirektionale Fahrmanöver. Während das gesamte Mecanum-Rad durch einen Servomotor angetrieben wird, sind nur die Rollen im Kontakt mit dem Boden und können sich ohne eigenen Antrieb frei um ihre schräge Lagerachse drehen. Bei den Floating Chairs sitzt die entsprechende Motor/Getriebe-Kombination im Fuß der beiden Beistelltischchen bzw. unter dem Sessel.
Trotz des außergewöhnlichen Einsatzbereiches: Die besonderen Anforderungen an Konstruktion und Mechanik, die die eingesetzten Getriebe dabei erfüllen müssen, sind mit denen von klassischen fahrerlosen Transportfahrzeugen (engl. AGVs) durchaus vergleichbar. Hier wie dort gilt es, hohe Lasten auf kleinem Raum zu managen. Speziell für die eingesetzten Getriebe bedeutet das: Da bei AGVs das Getriebe in der Regel direkt im Rad sitzt, wirkt je nach Fahrwerksprinzip das gesamte Gewicht aus Fahrzeug und Zuladung direkt auf die Abtriebslager des Getriebes. Die Folge sind hohe Radiallasten. Gerade bei Mecanum-Rädern treten zusätzlich zu den Radiallasten auch recht hohe Axialkräfte auf, die ebenfalls vom Abtriebslager aufgenommen werden müssen. Darüber hinaus erfordern die naturgemäß engen Platzverhältnisse im Fahrzeug eine besonders kompakte, platzsparende Bauform des Getriebes. Diese besonderen Anforderungen lassen sich hervorragend mit Planetengetrieben erfüllen, da diese Zuverlässigkeit und Effizienz auf kleinem Raum verbinden: Der bewährte Getriebetyp zeichnet sich durch einen Wirkungsgrad von mehr als 95 Prozent aus. Dadurch verringert sich die Wärmeentwicklung und die Effizienz des Fahrzeugs steigt.
Entscheidung für Planetengetriebe von Neugart
Vor diesem Hintergrund suchten die Ingenieure von Mack Rides den Kontakt mit der Firma Neugart. Der Hersteller von Standard- und Sonderpräzisionsgetrieben mit Hauptsitz im badischen Kippenheim ist praktischerweise nur wenige Kilometer vom Europa-Park in Rust entfernt. Tatsächlich erwies sich das speziell zum Einsatz in AGVs und anderen High-Load-Applikationen konzipierte NGV-Planetengetriebe mit einigen kundenspezifischen Modifikationen als passende Lösung. Eine zentrale Rolle spielen beim NGV-Getriebe die Lager: Sie sind so ausgeführt und platziert, dass sie am Abtrieb hohe Radiallasten erlauben. Konkret kommen vorgespannte Schrägrollenlager zum Einsatz. Sie können aufgrund ihres Aufbaus hohe Kräfte aufnehmen. Das Rad muss damit nicht separat abgestützt werden, sondern die Lager am Abtrieb übernehmen die Lastaufnahme.
Auch die Schnittstelle zwischen Getriebe und Chassis wurde beim NGV angepasst: So ist der Montageflansch des Getriebes so nah am Fahrgestell positioniert, dass es direkt dort montiert werden kann. Weitere Adapter und zusätzliche Verschraubungen sind nicht notwendig, was Kosten und Gewicht reduziert. Ein weiterer Vorteil neben der Montagefreundlichkeit: Motor und Getriebe können als Einheit vormontiert und gemeinsam eingebaut werden. Die Bauform des Motors spielt damit keine Rolle und kann im Durchmesser auch deutlich größer sein als das Getriebe selbst.
Durch die Verwendung unterschiedlicher Motoradapter ist es möglich, nahezu jeden Motor anzubauen. Der AGV-Hersteller kann also uneingeschränkt seine präferierten Motoren und Steuerungen auswählen, denn Neugart bietet seine Lösungen als reiner Getriebehersteller motoren- und steuerungsunabhängig an. Das Rad selbst wird von außen direkt an die Flanschabtriebswelle montiert und kann somit bei Bedarf, z. B. im Wartungsfall, schnell und einfach getauscht werden. Wegen seiner kompakten Bauform wird das NGV dabei fast vollständig vom Rad umschlossen.
Erstes Kapitel einer Erfolgsgeschichte
Schon in den ersten drei Monaten nach der Eröffnung von Eatrenalin haben 12.000 Gäste die Reise auf den schwebenden Sesseln erlebt und sich – angetrieben von Neugart-NGV-Getrieben – in einzigartige Genuss- und Multimedia-Welten entführen lassen. Eine internationale Expansion des Konzepts ist bereits angedacht.