Trendumfrage fahrerlose Transportsysteme und mobile Robotik

Trendumfrage fahrerlose Transportsysteme und mobile Robotik

Mehr als der Transport von A nach B

In der aktuellen Trendumfrage hat ROBOTIK UND PRODUKTION Experten zum Thema ‚Wo hört das FTS auf und fängt die mobile Robotik an?‘ befragt. Dabei ging es um die Abgrenzung zwischen FTS und mobilem Roboter, die technologischen Unterschiede und aktuelle sowie zukünftige Einsatzgebiete. Es antworteten Manfred Hummenberger und Wolfgang Hillinger, beide Geschäftsführung DS Automotion, Gregor Schubert-Lebernegg, Product Manager bei Knapp, Alois Buchstab, Vice President Advanced Robotic Applications bei Kuka, und Bruno Adam, Omron Mobile Robot Business Director Europe.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Auf der Logimat treffen sich wieder FTS und mobile Roboter: Meinen beide Begriffe nicht eigentlich das gleiche? Wenn nein, wo sehen Sie die Grenze?

Alois Buchstab, Kuka: Ein fahrerloses Transportsystem erledigt genau den Job, den sein Name schon verrät: Es transportiert Dinge von Punkt A nach Punkt B und wird dabei automatisch geführt. Dabei gibt es verschiedene Typen von Leitsystemen, die einem FTS signalisieren, wohin es sich bewegen soll. Die Aufgabe eines mobilen Roboters ist der eines FTS sehr ähnlich. Die Art und Weise, wie er vorgeht, ist jedoch völlig anders. Anstatt eine Infrastruktur wie Drähte oder reflektierende Markierungen zu nutzen, werden bei einem mobilen Roboter die gesamte Sensorik und Wegplanung an Bord durchgeführt.

„FTS und mobile Roboter unterscheiden sich in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten stark.“ Gregor Schubert-Lebernegg, Knapp

Gregor Schubert-Lebernegg, Knapp: FTS und mobile Roboter ähneln sich auf den ersten Blick oft sehr stark. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass diese sich in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten stark unterscheiden. Wenn man die Fortschritte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass FTS in diesen Jahren nur wenig dazugelernt haben. Natürlich gab es Fortschritte im Bereich der Lokalisierungstechnologien, der Sensorik und im Bereich der Antriebe. Jedoch fand man in keinem Fahrzeug eine hochentwickelte eigene Intelligenz. Die Intelligenz befand sich bei diesen Systemen stets in einem der übergeordneten Systeme. Mobile Roboter verfügen über die notwendige Intelligenz, sich an veränderliche Rahmenbedingungen anzupassen und können selbst Entscheidungen treffen und individuell reagieren.

Manfred Hummenberger/Wolfgang Hillinger, DS Automotion: Die beiden Bezeichnungen meinen letzten Endes die gleiche Anwendung. Die Abkürzung FTS beschreibt fahrerlose Transportsysteme, die in ihrer ursprünglichen technischen Konfiguration einfache Transporte zwischen zwei Übergabepositionen ausführen. Im Laufe der Zeit wurden diese Systeme technologisch z.B. durch interagierende Lastaufnahmemittel wie Greifer, Halter oder Förderer erweitert. Heute werden Robotikapplikationen mit Rädern versehen und man spricht von einem mobilen Roboter. Das trifft natürlich auch zu, wenn ein fahrerloses Transportsystem mit einem roboterähnlichen Lastaufnahmemittel versehen ist.

„Ein wesentlicher Unterschied ist der Einsatz künstlicher Intelligenz bei mobilen Robotern“ Bruno Adam, Omron (Bild: Omron Electronics GmbH)

Bruno Adam, Omron: FTS und mobile Roboter werden manchmal als Synonym genutzt, andere sehen Unterschiede. Immer da, wo maßgeschneiderte Artikel nach kundenspezifischen Anforderungen bis hin zur Losgröße 1 gefertigt werden, müssen sie sich vor Ort flexibel bewegen lassen. Spurgeführte fahrerlose Transportfahrzeuge können wie Züge nur vordefinierten Bahnen folgen. Autonome, intelligente Transportroboter sind zudem in der Lage, Hindernisse ungeführt zu umfahren und so unterschiedliche Ziele jederzeit eigenständig anzusteuern. Sie können sich freier bewegen und lassen sich zudem entsprechend der Aufgabe leicht neu programmieren. Ein wesentlicher Unterschied ist der Einsatz künstlicher Intelligenz bei mobilen Robotern.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Worin liegen die technologischen Unterschiede? Welche Gemeinsamkeiten gibt es?

Schubert-Lebernegg: Der Unterschied liegt in der Intelligenz der Fahrzeuge innerhalb der Flotte. Herkömmliche FTS waren darauf angewiesen, dass ihnen jeder einzelne Schritt und jeder Streckenabschnitt vorgegeben wird: Das entfällt bei den mobilen Robotern immer mehr. Mobile Roboter überwachen mittlerweile ihre Umgebung und leiten aus den erfassten und erkannten Gegebenheiten für sich selbst Aktionen ab, ohne dass ein übergeordnetes System damit behelligt wird. Die Integration dieser Systeme wird dadurch wesentlich einfacher. Die zunehmende Kommunikation der Fahrzeuge untereinander bringt ebenfalls Vorteile im Bereich der verfügbaren Transportkapazitäten.

„Mobile Robotik wird in der Fabrik der (nahen) Zukunft natürlich eine wichtige Rolle spielen.“ Alois Buchstab, Kuka (Bild: Kuka AG)

Adam: Spurgeführte Flurförderzeuge sind nach wie vor dort im Einsatz, wo sehr schwere Lasten bewegt werden müssen, wie beim Transport von schweren Karosserien in der Automobilindustrie. Kunden, die den Einsatz mobiler Roboter in Erwägung ziehen, müssen zwischen Flexibilität, Geschwindigkeit, Nutzlast und Kollaborationsfähigkeit abwägen und diese Parameter auf ihre Anwendung abstimmen. Bei mobilen Robotern verwaltet das Flottenmanagementsystem zwei Schlüsselelemente. Zum einen steuert es den Verkehr, zum anderen teilt es die Aufgaben auf die produktivste Weise zu. Ein effektives System kann sogar vorausplanen und vorhersagen, welcher Roboter in der Nähe verfügbar ist, um die nächste Aufgabe zu übernehmen.

Buchstab: Ein mobiler Roboter verwendet Sensoren wie Flächenscanner, diffuse Lasersensoren und Kameras, um die Umgebung zu erfassen. Typischerweise wird er bei der Erstinstallation manuell durch die Werkshalle gesteuert, während die Sensoren die Umwelt aufzeichnen. Nachdem alle Daten gesammelt wurden, erstellt das System eine virtuelle Karte des gesamten Werksbereichs. Das erlaubt dem mobilen Roboter, ohne die Verwendung einer sensorischen Infrastruktur zu wissen, wohin er sich bewegt. Mit einer internen Karte und einer Live-Sensorik kann der Roboter selbstständig durch seine Umgebung navigieren, eigene Wege schaffen und einen sich ständig verändernden Umgebungsbereich erfassen und aktualisieren.

Hummenberger/Hillinger: In Verbindung mit Robotern wurde ursprünglich vom Greifen und Handeln an einem stationären Ort gesprochen. Robotikapplikationen werden heute mit Rollen versehen und dann spricht man von einem mobilen Roboter. Auch in puncto Sicherheitsanforderungen finden sich Unterschiede. So unterliegen FTS und Roboter anderen Normen, FTS der DIN ISO3691-4, mobile Roboter der DIN ISO13482 sowie der 10218-1 und der 10218-2.

Ob sich Produktion und Logistik in einer Smart Factory noch trennen lassen, wird die Zukunft zeigen. (Bild: DS Automotion GmbH)

„Ob sich Produktion und Logistik in einer Smart Factory noch trennen lassen, wird die Zukunft zeigen.“ Manfred Hummenberger, DS Automotion (Bild: DS Automotion GmbH)

ROBOTIK UND PRODUKTION: Gibt es unterschiedliche Einsatzgebiete? Lassen sich Produktion und Logistik in der smarten Fabrik (der nahen Zukunft) überhaupt noch trennen?

Adam: In der Lebensmittelindustrie gibt es einen wachsenden Bedarf an immer flexibleren mobilen Robotern – z.B. wenn ein gemischtes Sortiment von Kaffeekapseln verpackt werden soll. Ein weiteres Beispiel sind Flughäfen, um den Transfer von Gepäckstücken zu automatisieren. Andere Einsatzszenarien sind der Transfer von Teilen zwischen Arbeitsgängen, das intelligente Kommissionieren in der Kraftfahrzeugfertigung, die Verpackung gemischter Produkte oder die Entnahme von Proben aus Fertigungslinien zur Inspektion im Labor. Wir sehen zudem Potenzial in kollaborativen Robotern zur Auftragsabwicklung in der E-Commerce-Logistik.

Buchstab: Die Einsatzgebiete erstrecken sich über nahezu alle Bereiche, von der klassischen Intralogistik im Warehouse über die flexible Maschinenverkettung in der Werkzeugmaschinenbranche bis hin zu flexiblen Montagelinien in der Automobil- oder zum Materialtransport in der Verpackungsindustrie. Im Zeitalter von Industrie 4.0 ist in vielen Branchen eine flexible Produktion gefragt. Der Trend geht hin zur Kleinserie, zur Individualisierung und zu kleinen Losgrößen. Diesen Herausforderungen sind die klassischen Produktionslinien oft nicht gewachsen, da sie zu unflexibel in ihrer Umrüstung sind. Durch mobile Roboter lassen sich Bring- und Holdienste, das Be- und Entladen von Maschinen, Montagetätigkeiten an verschiedenen Plätzen und viele weitere Aufgaben wirtschaftlich automatisieren, weshalb mobile Robotik in der Fabrik der (nahen) Zukunft natürlich eine wichtige Rolle spielen wird.

Hummenberger/Hillinger: Die Nachfrage nach mobilen Transportsystemen in der Intralogistik steigt kontinuierlich an. Denn durch FTS können innerbetriebliche Materialflüsse flexibel automatisiert werden. Unsere Lösungen ermöglichen signifikante Prozessverbesserungen über die Abwicklung reiner Transportaufgaben hinaus. Ob sich Produktion und Logistik in einer Smart Factory noch trennen lassen, wird die Zukunft zeigen.

Schubert-Lebernegg: Herkömmliche FTS haben nach wie vor ihre Einsatzgebiete bei statischen Prozessketten. Hier sind die Flexibilität und Intelligenz der Roboter nicht erforderlich. Durch die höher werdenden Anforderungen im Bereich der Logistik und der Produktion treten aber komplexere und miteinander verbundene Use-Cases in den Fokus, die mit statischen Systemen nicht mehr einfach abzubilden sind. Die Produktion rückt immer enger mit der Logistik zusammen. Eine Produktion in einer Smart Factory ist ohne eine smarte Logistik nicht realisierbar. Somit wachsen auch die Prozesse zusammen, werden gesamtheitlich betrachtet und müssen gesamtheitlich verbessert werden. Das erfordert in vielen Bereichen smarte Systeme. Ansonsten sind die Herausforderungen und die immer häufiger auftretenden Änderungen der Prozesse nicht mehr bewältigbar. (fiz)

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