Kolumne von Michael Lind: Corona-Koma

Kolumne von Michael Lind: Corona- Koma

Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Text über Cobots stehen, doch die Ergebnisse einer Umfrage des Institutes für Demoskopie, Allensbach, lassen aufhorchen: In Deutschland fürchten sich Menschen weniger vor einer Covid19-Infektion als vielmehr vor dem Einfluss der Corona-Pandemie auf ihr persönliches Leben. Und sie haben Recht. Ironie an: Fast 8.600 Corona-Tote hierzulande sind dieser Sorge bereits enthoben worden. Ironie aus.

Michael Lind schreibt seit 30 Jahren für und über die nationale und internationale Roboter- und Automatisierungsbranche. Er war knapp zwei Jahrzehnte lang Chefredakteur (später auch Herausgeber) einer Zeitschrift zu diesen Themen. (Bild: Michael Lind)

Es wird ein Leben geben, wenn die Corona-Pandemie überstanden ist. Es wird für viele Menschen ein anders sein als in den Zeiten vor der Seuche. Und das heißt nicht: Videokonferenzen anstelle von Geschäftsreisen oder Home Office statt Büropräsenz. Das heißt ganz profan: Habe ich nach der Corona-Krise überhaupt noch einen Arbeitsplatz?

Nach Angaben der Online-Plattform Statista arbeiteten in Deutschland im Januar dieses Jahres etwa 45,17 Millionen Menschen in Voll- oder Teilzeit. Für fast 10,1 Millionen hatten deren Arbeitgeber schon zwei Monate später Kurzarbeit beantragt – wegen Corona. Einige Schlüsselindustrien trifft es besonders heftig: Die Automobilindustrie beschäftige im vergangenen Jahr insgesamt mehr als 833.000 Menschen. 783.000 (94%) davon sind aktuell auf Kurzarbeit gesetzt. Im Maschinenbau, dem mit mehr als 1,06 Millionen Mitarbeitern beschäftigungsstärksten Industriezweig, beträgt der Kurzarbeiteranteil über alle Branchensegmente hinweg 48%, also knapp 509.000 Menschen. In der Metallindustrie sind 153.000 (62%) der 247.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Die Elektroindustrie hatte im vergangenen Jahr mit über 885.000 Beschäftigten einen neuerlichen Rekord gefeiert. Jetzt arbeiten fast 487.000 (55%) der Belegschaften kurz. Mit anderen Worten: Allein in den vier genannten Schlüsselindustrien beziehen in Summe 1,93 Millionen Beschäftigte Kurzarbeitergeld und es ist nur die berühmte Spitze des Eisberges.

Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts waren in Deutschland Ende Mai über alle Wirtschaftszweige hinweg 7,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Wie viele davon in ihren Unternehmen ihre bisherigen Tätigkeiten wieder aufnehmen werden (und wann) ist ungewiss. Trotz vieler Lockerungen in unterschiedlichen Gewerben liegt die produzierende Industrie nach wie vor im Corona-Koma. Obendrein steigt seit Verkündung der Kurzarbeit die Zahl der Betriebsstilllegungen, der Insolvenzen, der betriebsbedingten Kündigungen. Aktuelle Zahlen liefert die Internet-Seite der Bundeagentur für Arbeit und Soziales.

Abgesehen von den sogenannten Schweinezyklen, die nahezu jede Branche durchleben muss, hat Deutschlands Wirtschaft in den letzten 50 Jahren fünf nachhaltige Krisen erlebt: Anfang der 1970er Jahre begann das Werftensterben, Anfang der 1990er Jahre war der Werkzeugmaschinenbau betroffen, wenig später die Kohle- und Stahlindustrie. Kurz nach der Jahrtausendwende hatte es die Roboter- und Automatisierungsbranche erwischt, und 2009/2010 die gesamte produzierende Industrie. Die Ursachen für all diese Krisen waren unterschiedlich, die wirtschaftlichen Auswirkungen für die jeweils betroffenen Unternehmen aber immer gleich: rückläufige Auftragseingänge, finanzielle Schieflagen, strategische Partnerschaften, Insolvenzen, Firmenübernahmen, Standortschließungen, Arbeitslosigkeit für viele der oftmals als ‚höchstes Gut‘ gepriesenen Mitarbeiter. So dramatisch das im einzelnen gewesen sein mag – es gab keine soziale Verelendung.

Mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie können wir deshalb so schlecht umgehen, weil es keine gängigen und erklärbaren Marktmechanismen waren, die das globale Wirtschaftsgefüge in einem noch nie dagewesenen Ausmaß gestört und Lieferketten weitgehend außer Kraft gesetzt haben, sondern ein lebensbedrohendes Virus. Doch es gibt Hoffnung. Bekanntermaßen bildet sich in jeder Krise ein Investitionsstau, der schlagartig auf Auflösung drängt. Beobachten ist zudem ein sogenanntes Reshoring: die Rückverlagerung von Produktionen aus dem Ausland nach Deutschland. Das schafft Arbeitsplätze und sichere, verkürzte Lieferketten. Beides wird natürlich nicht von heute auf morgen geschehen. Bis die Wirtschaft aus ihrem Corona-Koma erwacht, können ja arbeitslose Corona-Leugner, Aluhutträger, Impfgegner, Pseudo- und Parawissenschaftler, Verschwörungsgläubige, gewaltbereite links- wie rechtsautonome Trittbrettfahrer und andere weiterhin für ihre persönliche Freiheit demonstrieren. (mli)

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