Prüfung von haptischen Qualitätsmerkmalen

Prüfung von haptischen Qualitätsmerkmalen

Der Roboter als intelligente Messmaschine

Deutlich sensibler als der menschliche Tastsinn können Messroboter arbeiten und so exakte Messungen liefern, die sich für die Prüfung von haptischen Qualitätsmerkmalen z.B. in Fahrzeugen eignen. Per Kraft/Momenten-Sensor misst das automatische System gleichzeitig Weg, Kraft sowie Winkel und kommt so zu vergleich- und validierbaren Ergebnissen. So lässt sich die Qualität von Bauteilen objektiv bewerten.

 (Bild: Battenberg Robotic GmbH & Co. KG)

(Bild: Battenberg Robotic GmbH & Co. KG)

Das Unternehmen Battenberg Robotic, ansässig in Marburg, beschäftigt sich seit 1988 mit dem Messen von haptischen Qualitätsmerkmalen, vor allem in der Automobilindustrie. Zunächst arbeitete das Unternehmen ausschließlich mit Robotern von Mitsubishi, später kamen Roboter von Stäubli und ABB hinzu. Möglich sind Sitz-, Tür-, Cockpit- und End-of-Line-Prüfungen sowie Qualitätsprüfungen in der Klimakammer. Zu den Kunden des Unternehmens gehören VW, BMW, Continental, Zeiss oder Procter & Gamble.

Haptische Qualitätsmerkmale

Die Schwierigkeit beim Messen von haptischen Qualitätsmerkmalen, z.B. bei der Überprüfung von Schaltern im Fahrzeuginnenraum, besteht darin, gleichzeitig Weg, Kraft und Winkel zu messen. Nur so lassen sich Ergebnisse erzielen, die an jedem Ort und zu jeder Zeit reproduzierbar sind. Dadurch entsteht eine Vergleichbarkeit der Messergebnisse, die für die Validierbarkeit unabdingbar ist. Erst dann können aufgrund der Messung wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden, z.B. ob ein Prototyp noch angepasst werden muss oder so in Serie gehen kann oder ob ein Bauteil in Ordnung ist oder reklamiert werden muss. Messungen sind dabei an verschiedenen Stationen im Produktionsprozess möglich: bei der Entwicklung von Prototypen, während der Montage und End of Line in der abschließenden Qualitätssicherung.

Kommunikation in Echtzeit

Für die jeweilige Messung wird ein Kraft/Momenten-Sensor am Roboterarm benötigt. Mit diesem misst der Roboter beim Betätigen verschiedener Schalter, welche Kraft auf das Bauteil ausgeübt wird, in Abhängigkeit vom Weg, der zurückgelegt wird, um den Schalter bis zum Ende durchzudrücken oder zu drehen. Innerhalb einer Millisekunde können dann die gemessenen Daten ausgelesen und in Messkurven sichtbar gemacht werden. Die Kommunikation zwischen Roboter, Software und Sensor erfolgt also in Echtzeit. Mit diesem selbstentwickelten Verfahren positioniert sich Battenberg Robotic als Marktführer in der Nische Robotermesstechnik. Die Messungen erfolgen sowohl inhouse als auch direkt beim Kunden, der die erforderliche Roboterzelle für seine Messung erwerben kann.

Tür- und Klappenprüfung

Zu den von Battenberg Robotic entwickelten Anwendungen gehört z.B. die automatische Tür- und Klappenprüfung an Fahrzeugen. Hier wird die Fahrzeugtür vom Roboter automatisch geschlossen und geöffnet. Währenddessen berechnet das System die nötige Schließenergie. Der Roboter kann jedes beliebige Fahrzeug überprüfen, ohne neu programmiert zu werden. Damit er seinen Ansatzpunkt auf der Fahrzeugtür findet, sind rund um diesen herum verschiedene Marker gesetzt, die per Vision-System erkannt werden. Das Greifen, Schubsen und Loslassen der Klappe oder der Türe erfolgt per Sauggreifer. Das zu überprüfende Qualitätsmerkmal ist in diesem Fall, die Frage, wie viel Kraft nötig ist, um die Fahrzeugtüre zu schließen. Diese Anwendung wird gerade weltweit ausgerollt.

Battenberg Robotic programmiert sowohl die virtuelle als auch die reale Roboterzelle mit der selbst entwickelten Software Robflow. (Bild: Battenberg Robotic GmbH & Co. KG)

Battenberg Robotic programmiert sowohl die virtuelle als auch die reale Roboterzelle mit der selbst entwickelten
Software Robflow. (Bild: Battenberg Robotic GmbH & Co. KG)

Komfortprüfung von Autositzen

Mithilfe eines Dummies können die Messroboter bei Battenberg Robotic auch Ein- und Ausstiegstests an Autositzen durchführen. Dabei wirkt der Roboter mithilfe seines Kraft/Momenten-Sensors mit konstanter Kraft auf den Sitz ein, und das an der Geometrie des Sitzes entlang. Bei der Komfortprüfung kann der Messroboter schließlich feststellen, ob sich der Schaumstoff des Sitzes an jeder Stelle und auch noch nach zahlreichen Prüfungen immer mit derselben Kraft aufrichtet und sich nicht durch den Druck des Roboters dauerhaft verformt. Der Roboter orientiert sich an den CAD-Daten des Sitzes und findet seine immer gleichen Ansatzpunkte anhand seines Vision-Systems. Zunächst drückt er den Schaumstoff ein. Dann wird er kraftfrei geschaltet und lässt sich vom Schaumstoff zurückdrängen. Diese Kraft wird anschließend gemessen und analysiert.

Schweißpunktprüfung per Roboter

Eine weitere Anwendung ist die Schweißpunktprüfung. Hier überprüft ein Roboter mithilfe eines Ultraschallsenders Schweißpunkte an der Automobilkarosserie. Der Roboter muss dafür den Ultraschall-Sensorkopf exakt am Schweißpunkt ansetzen. Mit 0,5 Newton drückt er diesen auf den Schweißpunkt, dann wird die exakte Position nochmals nachgeregelt. Erst jetzt erfolgt die eigentliche Messung. Das interessante an dieser Anwendung ist, dass der Roboter die Messpunkte vollständig autonom findet. Hierfür orientiert er sich zunächst an den eingegebenen CAD-Daten. Anhand eines 3D-Scanners wird dann die tatsächliche Bauteillage erfasst. Aus diesen beiden Quellen generiert die Software dann automatisch die Bahn des Roboters. Über das Vision-System an der Roboterhand findet der Roboter den realen Schweißpunkt, den er mithilfe des Ultraschallsensors überprüft.

Qualitätsgestützte Montage

Einen bisher neuen Ansatz in der Messrobotic verfolgt Battenberg Robotic mit der qualitätsgestützten Montage. Hier geht es darum, dass Bauteil nicht erst End of Line, sondern bereits während der Montage ausreichend zu prüfen, sodass danach keine weiteren Qualitätskontrollen mehr nötig sind. Hier wird z.B. sichergestellt, mit welcher Geschwindigkeit der Fügevorgang durchgeführt werden darf, ohne dass die Bauteilqualität leidet. Auch der ideale Winkel für den Fügevorgang kann so ermittelt werden. Mithilfe eines 3D-Scanners erfasst der Roboter die genaue Geometrie der zu fügenden Bauteile und kann diese dann mithilfe von Laserliniensensoren und unter Beachtung des exakten Spaltmaßes einsetzen. Ein konkretes Beispiel wäre z.B. die Montage einer Heckleuchte.

Gestengesteuerte Qualitätsüberprüfung

Darüber hinaus arbeitet Battenberg Robotic an Verfahren für die gestengesteuerte Qualitätsüberprüfung. Diese eignet sich unter anderem für die Überprüfung von kapazitiven Lenkrädern in autonomen Fahrzeugen. Hierfür entwickelte das Unternehmen eine spezielle Roboterhand, bestückt mit zahlreichen Sensoren, wie kapazitiven oder Time-of-Flight-Sensoren, und einer Kamera. Die Roboterhand leitet ihre Bewegungen direkt von der menschlichen Hand ab. Auf diese Weise lassen sich sämtliche Bewegungen im Fahrzeuginnenraum – z.B. Schiebedach öffnen und schließen, Musik leiser und lauter drehen – auf einfache Weise imitieren.

Functional Twin

Neu im Hause Battenberg Robotic ist ein eigener digitaler Zwilling, der sogenannte Functional Twin. Funktional bedeutet in diesem Fall, dass das physikalische Verhalten einer Funktion zum Beispiel eines Schiebereglers im funktionalen Zwilling hinterlegt wird und zu Simulationszwecken eingesetzt werden kann. Der gesamte Messablauf inklusive Roboterzelle und Abruf der Messergebnisse kann virtuell programmiert, simuliert und angepasst werden. Die Kraft-Weg-Kurve des beispielhaften Schiebereglers wird zunächst aus den Messergebnissen vorhergehender Bauteile, aus Benchmarkstudien oder Soll-Vorgaben definiert. Das tatsächliche physikalische Verhalten des Schiebereglers wird aus den Messungen der Prototypen gewonnen. Der Funktionale Zwilling wird im Closed-Loop-Verfahren ständig an den aktuellen Stand angepasst. Um den Prototypenentwicklungsprozess zu bescheunigen, muss der Prototyp schneller z.B. Produkttests durchlaufen. Mit dem funktionalen Zwilling sind Designer, Qualitätslabore und Produktionsanlagenbauer nun in der Lage ihre Arbeitsschritte virtuell vorzubereiten, zu simulieren und die gebauten Prototypen schnellstmöglich weiterzugeben. Virtuell lassen sich so verschiedene Messabläufe, Haptikwerkzeuge ausprobieren und die Funktionalität der Bauteilkonstruktion abschätzen. Prüfverfahren und Knowhow lassen sich zeit- und raumübergreifend teilen. Geprüft werden kann dann z.B. in einem asiatischen Werk oder an jedem anderen Ort auf der Welt.

Von der Simulation zur realen Messung

Programmiert wird sowohl die virtuelle als auch die reale Roboterzelle mit der selbst entwickelten Software Robflow. Hierfür werden auch identische Schnittstellen verwendet. So können alle Einstellungen und Ergebnisse direkt von der virtuellen auf die reale Zelle übertragen werden. Eine erneute aufwendige Programmierung entfällt. Berücksichtigt werden dabei zunächst die Bauteildaten aus dem CAD-Modell. Dann lassen sich die Angriffspunkte des Roboters festlegen. Aus einer umfangreichen Bibliothek stellen sich die Anwender die vollständige Roboterzelle zusammen, indem sie einen bestimmten Roboter, Endeffektor, Prüftisch und etwaige Sicherheitszäune, Schutzumhausungen oder Lichtvorhänge auswählen. Auch die Prüfkräfte des Roboters können anhand einer leicht modifizierbaren Kurve angepasst werden. Die Simulation kann per VR-Brille dreidimensional aus einer individuellen Perspektive heraus nachvollzogen werden. Wurde die Anwendung in der Simulation durchgespielt, wird diese auf die reale Roboterzelle übertragen. Ein 3D-Scanner misst anhand einer Punktewolke die tatsächliche Lage und Geometrie des realen Bauteils. Das System kann dann den zuvor in der Simulation erstellten Ablauf korrigieren und an die realen Gegebenheiten anpassen. Dieser Vorgang ist aber auch per Hand-Teaching möglich.

Intuitive Software

Im Vergleich zu vorher üblichen Sondermaschinen, meist Linearsystemen, die immer nur für eine Messung speziell gebaut werden, bietet ein Prüfroboter hohe Flexibilität. Es können verschiedene Messungen in verschiedenen Umgebungen mit ein und demselben Roboter durchgeführt werden. Durch die modulare Software Robflow, ist es nicht einmal nötig, diesen aufwendig umzuprogrammieren. Sie lässt sich auch ohne Kenntnisse spezieller Programmiersprachen bedienen. In einer übersichtlichen Tool Library finden sich alle Module, die für das Erstellen einer Messanwendung nötig sind, wie z.B. Sensoren, Kameras, Schutzvorrichtungen oder Endeffektoren. Ist ein bestimmter Sensor oder ein Werkzeug ausgewählt, wird dieses per Drag&Drop in ein Aktionsfenster gezogen. Anwender können zudem aus verschiedenen Move Blocks vorgefertigte Roboterbewegungen auswählen. So lässt sich die Anwendung Stück für Stück zusammensetzen. Darüber hinaus ist es auch möglich, den Roboter per Hand in eine bestimmte Bewegung zu teachen. Kraft und Geschwindigkeit lässt sich zusammen mit allen übrigen Parametern in Echtzeit einstellen und nachregeln. Die Software ist modular erweiterbar, sodass sich neue Robotermodelle oder -funktionen jederzeit einbinden, neue Anwendungen zusammenstellen und neue Werkzeuge oder Sensoren einpflegen lassen. (fiz)

Battenberg ROBOTIC GmbH & Co. KG
www.battenberg.biz

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