FTS für das Dämmstoff-Handling

FTS für das Dämmstoff-Handling

Fahrerlos gegen den Klimawandel

Der innerbetriebliche Transport und die Zwischenlagerung von Styroporblöcken als Dämmstoff-Vorprodukt haben im Werk bei Austrotherm entscheidenden Einfluss auf die Produktionskapazität. Durch den Einsatz eines fahrerlosen Transportsystems bestehend aus vier fahrerlosen Hochhubstaplern für den Transport sowie die Ein- und Auslagerung der Blöcke ließen sich die internen Abläufe anpassen, die Prozesssicherheit verbessern und Kapazitätsreserven mobilisieren.

Von den Blockformmaschinen transportieren die FTS per freier Navigation mit punktueller Referenzierung die Blöcke in ein vom FTS verwaltetes Blocklager. (Bild: Austrotherm GmbH)

Von den Blockformmaschinen transportieren die FTS per freier Navigation mit punktueller Referenzierung die Blöcke in ein vom FTS verwaltetes Blocklager. (Bild: Austrotherm GmbH)

Einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz kann eine gute Wärmedämmung der Fundamente, Dächer und Fassaden von Gebäuden leisten. Sie verhindert das Verpuffen von Heizungswärme im Winter und das Eindringen großer Wärmemengen im Sommer. So reduziert sie den Energiebedarf für Heizung und Kühlung und damit den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen. Austrotherm erzeugt als einer der führenden europäischen Hersteller energiesparende Dämmstoffe aus expandiertem Polystyrol (EPS; Styropor) und extrudiertem Polystyrolschaum (XPS). Die Austrotherm-Gruppe stellt als Teil der Schmid-Industrie-Holding mit rund 1.100 Mitarbeitern an 23 Produktionsstandorten in 11 Ländern Produkte für die energiesparende Wärmedämmung vom Keller bis zum Dach her und erzielte damit 2019 einen Umsatz von 351Mio.?. Im burgenländischen Pinkafeld produziert Austrotherm vor allem EPS-Platten. In einer knapp 5.000m2 großen Halle entstehen dazu im Dreischichtbetrieb an drei Stellen zunächst Blöcke mit 4.080mm Höhe, 1.040mm Länge und max. 1.290mm Breite. Diese müssen einige Tage lang reifen (trocknen), ehe sie in einer von drei Schneidstraßen zu Platten zerteilt und in Form von Plattenstapeln verpackt werden. Ein Teil der Blöcke wird nach der Reifezeit in einer Blockpresse verdichtet.

 

Im Austrotherm-Produktionswerk Pinkafeld transportiert ein fahrerloses Transportsystem von DS Automotion rund um die Uhr Polystyrol-Hartschaum-Blöcke mit 4.080mm Höhe, 1.040mm Länge und max. 1.290mm Breite. (Bild: Austrotherm GmbH)

Grenzen der Intralogistik

Bis vor Kurzem gelangten die rund 5m3 großen und 50 bis 150kg schweren Styroporblöcke per Handhubwagen einzeln von den Blockformern zu den über 1.000 Blocklagerplätzen und von dort zu den Schneidstraßen. In derselben Art erfolgte auch die Ver- und Entsorgung der Blockpresse. „Im Dreischichtbetrieb sind rund um die Uhr, auch am Wochenende, pro Stunde bis zu 90 Blöcke zu transportieren“, erläutert Dr. Heimo Pascher, technischer Geschäftsführer Österreich bei Austrotherm. „Dabei ist das Einhalten der erforderlichen Trocknungszeit zu beachten.“ Wie die Bautätigkeit, bei der die Dämmplatten Verwendung finden, weist das Aufkommen eine hohe Saisonalität auf und ist zudem sehr wetterabhängig. Nicht zuletzt deshalb war es schwierig, Mitarbeiter für diese einerseits verantwortungsvolle, andererseits aber körperlich anstrengende und recht eintönige Arbeit zu begeistern. Zudem konnte die innerbetriebliche Transportkapazität wegen der begrenzten Gangflächen nicht beliebig erweitert werden. Auch die Lagerverwaltung mittels händisch geführter Listen war mit einem hohen Aufwand verbunden und behinderte die Verbesserung der Produktionsplanung. Deshalb schlug Fraunhofer Austria Research als Kooperationspartner von Austrotherm für Logistik- und Produktionsmanagement vor, Transport und Lagerverwaltung der Schaumstoffblöcke zu automatisieren.

 

Vier fahrerlose Hochhub-Stapler Amadeus Grip mit einem Klammerhubgerüst transportieren die EPS-Blöcke in der Regel paarweise von den Blockformmaschinen in ein Reifelager und von dort zu den Schneidstraßen, manche davon über eine Blockpresse. (Bild: Austrotherm GmbH)

FTS-Lösungsweg mit Hürden

Gelöst werden sollte die Aufgabe mit einem fahrerlosen Transportsystem mit frei navigierenden Fahrzeugen. Dessen Leitsteuersoftware sollte die erforderliche Reifezeit der Blöcke berücksichtigen und so auch das Ein- und Auslagern verbessern. Fraunhofer übernahm auch die Auswahl des Technologiepartners für die FTS-Anlage. Die Experten nahmen ursprünglich 13 Anbieter unter die Lupe. Davon schafften es nur drei in die engere Auswahl. Das lag einerseits an der hohen Komplexität der Aufgabe, andererseits war auch die Wahl des Navigationsverfahrens eingeschränkt. „Aus Platzgründen müssen die über 4m hohen EPS-Blöcke in der nur 4,30m hohen Halle stehend transportiert und gelagert werden“, erläutert Pascher. „Das verhindert das Anbringen von Reflektoren mit guter Sichtbarkeit, sodass z.B. die bei ähnlichen Transportaufgaben gebräuchliche Lasernavigation ausscheidet.“ Die beengten Platzverhältnisse in der Halle stellten eine weitere Herausforderung dar. Zwischen den Blockformeinrichtungen, den Schneidstraßen und der Blockpresse sind mehr als 1.000 Stellplätze für die lagernden Styroporblöcke in mehreren Gruppen angeordnet. Um nach dem Fifo-Prinzip (first in – first out) die am längsten gereiften Blöcke zuerst abholen zu können, muss der Zu- und Abtransport der Blöcke zu jeder Gruppe auf zwei Seiten möglich sein. Das lässt nur begrenzt Platz für die Manipulationsflächen und Transportwege. Im Navigationsbereich der Fahrzeuge befindet sich daher ein einspuriger Gang, der nur abwechselnd in unterschiedlicher Richtung befahren werden kann. Zudem wird ein Abschnitt auch von bemannten Staplern befahren. Dazu kommt, dass die Transportwege an mehreren Stellen Brandschutztore durchqueren.

Blocktransport paarweise

Die Entscheidung von Fraunhofer und Austrotherm fiel zugunsten von DS Automotion. Dafür sprachen neben der geografischen Nähe des österreichischen Herstellers mehrere Gründe: „Das Unternehmen kann auf mehr als 35 Jahre Erfahrung bei Entwicklung und Herstellung von FTS verweisen und hat auch bereits Systeme für den Transport von Hartschaumblöcken realisiert“, erklärt Pascher. „Zudem bot DS Automotion ein System an, das bei geringen Anschaffungskosten einen wirtschaftlichen Betrieb gewährleistet, da es für die geforderte Anzahl Transporte mit nur vier Fahrzeugen auskommt.“ Bei diesen handelt es sich um Amadeus Grip, eine Variante des vollständig im Haus entwickelten fahrerlosen Hochhubstaplers Amadeus mit einem Klammerhubgerüst. Damit ergreift das fahrerlose Transportfahrzeug jeweils zwei Blöcke, um sie paarweise zu transportieren. Gemeinsam mit dem Doppelspiel zur Vermeidung von Leerfahrten und der vorausschauenden Anpassung der Fahrten durch den Gegenverkehrsbereich verleiht das dem System die erforderliche hohe Transportkapazität „Wegen der größeren Breite beim Transport von je zwei Blöcken nebeneinander musste die Anzahl der Blockstellplätze zugunsten der Verkehrsflächen reduziert werden“, sagt Christian Pöstinger, Projektleiter bei DS Automotion. „Aufgrund der Lager- und Transportoptimierung auf Grundlage des Fraunhofer-Konzeptes und der im FTS-Leitsystem DS Navios hinterlegten Einlagerungsplanes konnten wir diesen Verlust jedoch mehr als ausgleichen.“

Schnell, sicher und präzise

Einen weiteren Beitrag zur Wegeoptimierung leistet das Ladekonzept der Amadeus Grip. Liegt kein Fahrauftrag vor oder erreicht der Ladestand einen unteren Grenzwert, fährt das FTS selbsttätig seine Blei/Gel-Akkus aufladen. Die vier Ladestationen sind den einzelnen FTS fix zugeordnet und in der Halle verteilt, sodass bei Vorliegen eines neuen Fahrauftrages keine weite Anfahrt erforderlich ist. Der Personensicherheit dienen vor allem integrierte Sicherheits-Laserscanner. „Die Last muss für den Transport hoch genug angehoben werden, damit die Sicherheitsscanner ein ungehindertes Sichtfeld haben“, erklärt Pöstinger. „Angesichts 4080mm hoher Blöcke und nur 4.300mm Durchfahrtshöhe war das nur knapp zu schaffen.“ Zur Überprüfung des Fahrkurses nutzen die mit maximal 1,2m/s fahrenden Amadeus Grip im neuen Betonboden der Halle eingelassene Magnete. Die freie Navigation mit punktueller Referenzierung benutzen die FTS auch zur Positionierung für die Lastübernahme und -übergabe an den Rollenbahnen der Blockformer und Schneidestationen sowie der Presse.

Alle Sonderfälle berücksichtigt

Gelegentlich anfallende Einzelblöcke müssen im Zusammenspiel von FTS und Förderanlage vollautomatisch vereinzelt werden. Zudem folgt ihre Abstellung im Reifelager nicht der üblichen Logik, da sie sonst die paarweise Entnahme dahinter stehender Blöcke behindern würden. „Es spricht für die Lösungskompetenz von DS Automotion, dass auch Sonderfälle wie dieser denselben hohen Automatisierungsgrad aufweisen wie der Standardfall“, freut sich Pascher. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die IT-Abteilung von Austrotherm. Sie setzte nicht nur die für den reibungsfreien FTS-Betrieb erforderliche ausfalls- und katastrophensichere Server-Infrastruktur auf und sorgte für die richtige Platzierung der WLAN-Repeater. Die Mitarbeiter schufen in enger Abstimmung mit DS Automotion die Schnittstellenprogramme, über die Maschinen und Übergabestationen mit DS Navios und den FTS kommunizieren. Und sie installierten Monitore für die Visualisierung des FTS-Verkehrs an den Maschinen sowie auf einer mobilen Einheit. „Der Einsatz der FTS für die interne EPS-Blocklogistik ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Industrie 4.0“, sagt Richard Irsigler, IT-Leiter bei Austrotherm. „Damit es seine Stärken ausspielen kann, ist eine tiefe Integration in die Unternehmens-IT erforderlich.“ Einige Wochen nach einem kurzen Probebetrieb erfolgte die Inbetriebsetzung der Anlage ohne die angesichts der hohen Komplexität und der zahlreichen Sonderfälle zu erwartenden Schwierigkeiten. Dementsprechend ist die Automatisierung der Vorprodukte-Intralogistik an weiteren Austrotherm-Standorten mit FTS von DS Automotion bereits geplant.

DS AUTOMOTION GmbH
www.ds-automotion.com

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