Normen, Prüfungen und Risikoschutz in der Zusammenarbeit mit Cobots

Normen, Prüfungen und Risikoschutz in der Zusammenarbeit mit Cobots

Sicher Hand in Hand

Wie können Menschen und Roboter sicher und effizient zusammenarbeiten? Die sogenannten Cobots werden immer flexibler im Einsatz – damit allerdings steigt auch das Unfallrisiko. TÜV Süd informiert über Normen, Prüfungen und den Risikoschutz.

Bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter gilt es, die erforderlichen Normen, Prüfungen und den Risikoschutz im Auge zu behalten. (Bild: ©Zapp2Photo/shutterstock.com)

Bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter gilt es, die erforderlichen Normen, Prüfungen und den Risikoschutz im Auge zu behalten. (Bild: ©Zapp2Photo/shutterstock.com)

Anfangs setzten Unternehmen bei Robotern auf fest installierte Anlagen, die von einem Schutzzaun umgeben sind. So wurde gewährleistet, dass kein Mensch dem Roboter und seinen ausschwenkenden Armen aus Versehen zu nahe kommen konnte. Doch inzwischen bietet gerade die mobile Zusammenarbeit ohne einschränkende Barrieren die größten Vorteile. Die Frage ist also: Wie lässt sich eine flexible Kollaboration sicher gestalten? Die Antwort ist mehrschichtig: Ein gelungenes Konzept berücksichtigt die Normen schon bei der Entwicklung, arbeitet mit Schutzeinrichtungen und Kontaktkraftmessungen – und schließt zukünftig auch softwarebasierte Agentensysteme ein. Wie diese Maßnahmen aufeinander abgestimmt und im konkreten Fall eingesetzt werden, kann von Experten beurteilt werden. TÜV Süd Industrie Service unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Einsatz- und Sicherheitskonzepten.

 (Bild: ©Zapp2Photo/shutterstock.com)

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Cobots in modularen Anlagen

In der Produktion spielt Flexibilität eine zentrale Rolle. Produktionsanlagen werden zunehmend modular gestaltet, um besser auf sich verändernde Anforderungen reagieren zu können. Je flexibler Cobots eingesetzt werden sollen, desto aufwendiger sind die Anforderungen an die Sicherheit und desto komplexer ist die Risikobeurteilung. Vor allem wenn die Anlagenkonfiguration geändert wird – und das wird in modularen Anlagen immer mehr zur Regel -, kann jeweils eine Neubewertung notwendig werden. Eine Erleichterung wären in solchen Fällen automatisierte Zertifizierungsprozesse, die die Normkonformität von verketteten Maschinenanlagen gewährleisten.

Normen regeln den Einsatz von Cobots

Die normative Grundlage für den Einsatz von kollaborierenden Robotern schafft die ISO/TS15066 – Robots and robotic devices – Collaborative Robots. In der Norm EN ISO10218 Industrieroboter-Sicherheitsanforderungen werden die Schutzziele für die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine definiert: ein sicherheitsgerichteter, überwachter Stillstand, die Steuerung des Roboters durch einen Menschen, eine Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung, um gefährliche Kontakte zwischen Mensch und Roboter zu verhindern sowie eine Leistungs- und Kraftbeschränkung, wenn ein Kontakt möglich ist.

Lichtgitter und Laserscanner

Diese Forderungen können teilweise durch berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen (BWS) erfüllt werden. Optische Sensoren z.B. in Form von Lichtgittern oder Laserscannern erkennen, wenn Menschen und Cobots sich zu nahe kommen, und begrenzen Kraft und Geschwindigkeit des Robotersystems oder stoppen es. Solche BWS müssen gemäß DIN EN IEC62046 bei der Inbetriebnahme und danach einmal im Jahr geprüft werden. Der Nachteil: BWS können nicht flexibel reagieren. Ist z.B. ein Mindestabstand definiert, zeigen sie eine Unterschreitung auch dann an, wenn sich Roboter und Mensch voneinander wegbewegen.

Zusammenarbeit in Agentensystemen

Praktikabler sind dynamische Sicherheitszonen, durch die ein Cobot individuell auf neue Situationen reagieren kann. Das wiederum erfordert, vorab mögliche Gefahren und komplexe Wechselwirkungen im Betrieb zu beurteilen. In Zukunft sollen softwarebasierte Ansätze solche sicherheitstechnischen Betrachtungen übernehmen. Diese Software könnte in Form eines Multiagentensystems aufgebaut werden. Dabei müsste jede handelnde Einheit – also jeder Agent – spezifische Ziele und Fähigkeiten erhalten. Die Aufteilung der einzelnen Aufgaben auf die Agenten würde die Komplexität vermindern. Details sind zu finden in VDI/VDE2653 Blatt 3 mit dem Titel ‚Agentensysteme in der Automatisierungstechnik – Anwendung‘. Alle Agenten eines solchen Systems wären in der Lage, vernetzt miteinander zu kommunizieren und gemeinsam über den Zustand des Systems zu kommunizieren – es müssten daher nicht alle möglichen Abläufe vorab bekannt sein, weil die wesentlichen Eigenschaften des Gesamtverhaltens zur Laufzeit erfasst werden.

Informationen hinterlegen

Notwendig für die Einrichtung eines Agentensystems ist, dass der Hersteller bereits bei der Entwicklung Basisinformationen z.B. zu Geschwindigkeit und Radius des Cobots anhand von Parameterräumen definiert, die dann als Teil des Entscheidungsbaums manipulationssicher in der Verwaltungsschale bzw. dem digitalen Zwilling abgelegt werden. Aus dem Entscheidungsbaum können die möglichen offenen Risiken abgelesen werden. Sind sie im konkreten Fall nicht tolerierbar, können die – zu den verfügbaren Schutzmaßnahmen – hinterlegten Sicherheitsprofile aus der Verwaltungsschale damit abgeglichen werden. Dann erfolgt entweder die Freigabe für die neue Situation oder der Cobot wird angehalten bzw. bleibt stehen. Das Ergebnis jeder Bewertung – insbesondere der manuellen Nachbewertungen – wird in der Verwaltungsschale abgelegt und bei den nächsten Risikobewertungen mit herangezogen. So lernt der Cobot, mit bislang unbekannten Zuständen umzugehen. So werden die Effizienz hemmende Stopps reduziert und bei gleichem Sicherheitsniveau die Produktivität erhöht.

Schutz für Kopf, Oberkörper, Arme

Für die Fälle, in denen Kontakte oder Berührungen erlaubt sind, dürfen die wirkenden Kräfte bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. Diese werden im Rahmen von Kontaktkraftmessungen, die zu den Sicherheitsmaßnahmen bei der Kollaboration zwischen Mensch und Maschine zählen, verifiziert. Dabei liegt das Augenmerk vor allem auf den Risikobereichen Kopf, Oberkörper und Arme des Menschen. Am Kopf sind maximal eine Stoßkraft von 90N und eine Flächenpressung von 20N/cm² zugelassen, das entspricht den medizinisch-biomechanischen Anforderungen aus den BG/BGIA-Empfehlungen für die ‚Gefährdungsbeurteilung nach Maschinenrichtlinie – Gestaltung von Arbeitsplätzen mit kollaborierenden Robotern‘. Um die Risiken von Verletzungen zu vermindern, werden in den Empfehlungen verschiedene Maßnahmen aufgezeigt.

TÜV SÜD AG
www.tuev-sued.de

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