Tipps für die schutzzaunlose Robotik

Tipps für die schutzzaunlose Robotik

Kollaboration oder doch besser Koexistenz?

Die Integration eines kollaborativen Roboters in industrielle Arbeitsprozesse wird immer einfacher. Während in der jüngeren Vergangenheit die meisten Cobot-Anwendungen einen spezialisierten Integrator erforderten, können heute viele Applikationen ohne Spezialisten umgesetzt werden – zumindest theoretisch. Denn auch wenn die Cobots selbst ziemlich sicher sind, gilt das nicht automatisch für die gesamte Anwendung, also für Endeffektoren, die zu bewegenden Produkte oder umgebende Prozessen. Hier gibt es noch viele offene Punkte, die eine ordnungsgemäße und sichere Integration durchaus kompliziert erscheinen lassen.

Intelligente Palettierungslösung mit verarbeitung (Bild: Unchained Robotics GmbH)

Intelligente Palettierungslösung mit Bildverarbeitung (Bild: Unchained Robotics GmbH)

Die Firma Unchained Robotics hat Cobots in einer Vielzahl von Umgebungen implementiert und getestet. In naher Zukunft, so die Einschätzung, wird die Mehrheit der Cobot-Implementierungen allerdings vom Betreiber selbst im eigenen Haus durchgeführt. Deshalb soll die folgende Einführung dieser Zielgruppe wichtige Tipps an die Hand geben, die sie bei einer Cobot-Implementierung weiterbringt.

Kollaborative Palettierlösung in der Printindustrie (Bild: Unchained Robotics GmbH)

Kollaborative Palettierlösung in der Printindustrie (Bild: Unchained Robotics GmbH)

Kollaboration oder Koexistenz

Sicherheit geht vor: Deshalb sollte sich bei der Integration einer Automatisierungslösung die erste Frage nicht direkt um die Amortisationsdauer drehen. Der erste Gedanke sollte die sichere Implementierung des Cobots sein. Hier ist der entscheidende Aspekt: Wird es eine Mensch/Roboter-Kollaboration (MRK), oder eher eine Anwendung in Koexistenz, die eine Synchronisierung mit menschlichen Interaktionen ermöglicht? Diese Grundsatzentscheidung kann erhebliche Auswirkungen haben. Die Ursache des Problems ist die nicht einheitliche unklare Definition der Bezeichnung Mensch/Roboter-Kollaboration und Koexistenz. Die für Sicherheitsanforderungen von Industrierobotern zuständige Norm ISO10218-1:2011 beschreibt vier Arten von kollaborierenden Anwendungen:

1. Sicherheitsgerichteter, überwachter Stopp
2. Handführung
3. Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung
4. Leistungs- und Kraftbegrenzung durch inhärente Konstruktion oder Steuerung:

Unchained Robotics hat in der Praxis festgestellt, dass interessierte Fabriken beim Begriff MRK-Anwendung überwiegend die Varianten 2 (Handführung) und 4 (Leistungs- und Kraftbegrenzung) im Sinn haben. Wird von einer Koexistenz mit dem Anwender gesprochen, sind in der Regel die Aspekte 1 (Sicherheitsgerichteter, überwachter Stopp) oder 3 (Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung) gemeint.

Mladen Milicevic, Unchained Robotics (Bild: Unchained Robotics GmbH)

„Eine MRK-Anwendung kann sich nur dann lohnen, wenn sie ungefährlich und nicht zu kompliziert umzusetzen ist.“ Mladen Milicevic, Unchained Robotics (Bild: Unchained Robotics GmbH)

Tipps für die Praxis

Dieser Artikel soll Tipps für die MRK-Anwendungen geben. Deshalb ist dem Nutzer direkt vorab ein Zahn zu ziehen: Cobots in einer MRK-Anwendung für Aufgaben mit acht Takten je Minute stoßen an die Grenze des möglichen, bzw. des erlaubten! Weiterhin sind spitze, scharfkantige Bauteile oder einspannende Endeffektoren und Produkte ein No-Go. Was kann man also machen, um hier nicht in eine Falle zu tappen?

1. Verlassen Sie sich nicht auf den Artikel alleine und lesen sie die ISO/TS15066: Der erste Tipp ist mit einem Augenzwinkern versehen. Weiterhin ist es aber wichtig , sich die größten Sorgen gleich abnehmen zu lassen. Cobots sind für ihre eigentliche Anwendung sicher und zertifiziert. Erst mit dem Hinzufügen eines Gestells, Förderbandes, Greifers und Werkstücken entstehen neue Gefahrenquellen. Wieso deshalb nicht gleich auf ein ganzes Set zurückgreifen, dass auf Sicherheit und Auslegung geprüft und abgenommen ist?

2. Informieren Sie sich über verfügbare Starter-Kits, die Gestell, Roboter und Greifer bereits beinhalten: Umso mehr Sie von der Stange bekommen, desto weniger Risiko tragen Sie selbst. Diese Starter-Kits sind bereits CE-Zertifiziert und entsprechen auch darüber hinaus allen erforderlichen Sicherheitskriterien, solange diese in dem festgelegten Leistungsumfang der dazugehörigen Dokumentation betrieben werden.

3. Arbeiten Sie mit dem Roboter nicht auf Kopfhöhe: Falls es sein muss: Polstern Sie den Endeffektor, damit die Gefahr für den Menschen möglichst eingegrenzt wird. Das ist aber keine Garantie, dass das transportierte Produkt keine Gefahr darstellt. Auch wenn der Roboter und Endeffektor gepolstert sind, wäre z.B. eine Schweißanwendung ohne weiteren Schutz trotzdem nicht denkbar. Es ist also immer ein Zusammenspiel mehrerer Bedingungen.

4. Achten Sie auf den Einsatzort des Cobots: Mitarbeiter sollten nicht durch den Roboterarm, oder durch das Handhaben des Produktes im Prozess eingeklemmt werden können. Spielen Sie mehrere Situationen durch, in denen der Mitarbeiter in eine Kollision mit dem Roboter kommen könnte und prüfen Sie, ob eine Klemmgefahr besteht. Trotzdem könnten bei dem Transport schwerer Pakete oder Metallrohlinge durch den Roboter Menschen verletzt werden. Bei höheren Gewichten und je nach Gefahrensituation muss der Roboter langsamer Verfahren, um keine Gefahr für den Menschen darzustellen. Ist der Einsatzort gut gewählt, kann man auch mit variablen Geschwindigkeiten arbeiten und so den Menschen in gewissen Bereichen mit reduzierten Geschwindigkeiten schützen.

5. Arbeiten Sie mit der Software der Hersteller und nutzen Sie variable Geschwindigkeiten, um das optimale aus der Anwendung herauszuholen: Die ISO/TS15066 gibt klare Vorgaben zu den Messwerten bei Kollisionen oder Klemmungen. Sollten Sie sich nicht sicher sein, kann man die eigene Anwendung auf die Werte überprüfen.

6. Schaffen Sie sich ein Kraft/Druck-Messsystem an: Oder arbeiten Sie mit einer lokalen Forschungseinrichtung zusammen, die mit entsprechender Hardware ausgestattet ist. Die Investition lohnt sich, um eine möglichst lückenlose MRK-Anwendung umzusetzen. Eine MRK-Anwendung kann sich nur dann lohnen, wenn sie ungefährlich und nicht zu kompliziert umzusetzen ist. So können auch Kosten gespart werden, die sonst in Sicherheitstechnik investiert werden müssten. Wer auf Nummer sicher gehen möchte und doch eher eine Anwendung in Koexistenz realisieren will, kann mit einem Starter-Kit und kurzer Programmierung schon innerhalb eines Tages startklar sein. Hier empfiehlt es sich trotzdem darauf zu achten, wie gefährlich die Produkte für die Mitarbeiter in unmittelbarer Umgebung sein können. Im Notfall lassen sich solche Lösungen durch Bodenscanner oder Sicherheitsschranken in der Regel unkompliziert absichern und in Betrieb nehmen.

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www.unchainedrobotics.de

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