Inline-Prüfung der Benetzungsfähigkeit von Materialoberflächen

Inline-Prüfung der Benetzungsfähigkeit von Materialoberflächen

Tropfen zählen

Ein neues Inline-Prüfsystem ermöglicht eine zuverlässige Beurteilung von Oberflächen, die in nachfolgenden Prozessschritten geklebt, lackiert oder anderweitig behandelt werden sollen. Basis der Lösung sind ein Patent des Fraunhofer IFAM und Bildverarbeitungstechnik von Stemmer Imaging.

Ein Ultraschallzerstäuber (links) erzeugt ein definiertes Wasseraerosol aus Reinstwasser, das mit einer Breite von ca. 10cm auf die Probenoberfläche aufgesprüht wird. (Bild: Fraunhofer IFAM)

Ein Ultraschallzerstäuber (links) erzeugt ein definiertes Wasseraerosol aus Reinstwasser, das mit einer Breite von ca. 10cm auf die Probenoberfläche aufgesprüht wird. (Bild: Fraunhofer IFAM)

„Unser System Bonndtinspect zur Inline-Prüfung der Benetzungsfähigkeit von Materialoberflächen eignet sich u.a. dazu, die Klebebereitschaft oder Lackierfähigkeit von Oberflächen zu prüfen. Es weist im Vergleich zu bisher bekannten Verfahren zahlreiche Vorteile auf“, erklärt Célian Cherrier. Der Applikationsingenieur von Automation W+R betreut die Entwicklung des kürzlich in Vorserie gegangenen Systems als Projektleiter bereits seit rund zwei Jahren. Er beschreibt die grundlegende Idee am Beispiel des Klebens wie folgt: „Um ein gutes Klebeergebnis zu erreichen, ist es unerlässlich, den Zustand der Fügeteiloberflächen vor dem Verkleben zu überwachen und die Oberflächenvorbehandlung zu kontrollieren, um Verschmutzungen z.B. durch Trennmittel oder Fingerabdrücke zu erkennen. Oberflächen müssen gewisse Kriterien erfüllen, um eine sichere Klebeverbindung zu ermöglichen.“ Für derartige Überprüfungen zur Bestimmung der Benetzungseigenschaften von Oberflächen existieren bereits verschiedene Verfahren wie z.B. Prüftinten, der so genannte Water-Break-Test oder Kontaktwinkelmessungen. Im Vergleich zu den herkömmlichen Verfahren zeichnet sich das neue System jedoch durch eine Reihe von Vorteilen aus. So erlaubt es zum ersten Mal schnelle, großflächige und automatisierte Messungen an unterschiedlichen Oberflächen wie Kunststoff, Metall oder Faserverbundwerkstoffen. Darüber hinaus ist es objektiv und arbeitet vollautomatisiert mit einer Bildverarbeitungssoftware. Zudem ermöglicht es eine sofortige Verarbeitung des geprüften Bauteils direkt im Anschluss an die Prüfung und kann somit nahtlos in Produktionsprozesse implementiert werden.

Das entstandene Tropfenmuster wird von einem Kamerasystem erfasst und sekundenschnell ausgewertet. In diesem Fall wurde ein Fingerabdruck erkannt. (Bild: Automation W+R)

Das entstandene Tropfenmuster wird von einem Kamerasystem erfasst und sekundenschnell ausgewertet. In diesem Fall wurde ein Fingerabdruck erkannt. (Bild: Automation W+R)

Feinste Tröpfchen zur Oberflächenprüfung

Das Verfahren basiert auf einem Patent des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) zur Auswertung der Benetzbarkeit von Oberflächen. Automation W+R hat die exklusive Lizenz zur Nutzung dieses Patents. Die Funktionsweise des Inline-Prüfsystems: Ein Ultraschallzerstäuber erzeugt ein definiertes Wasseraerosol aus Reinstwasser, das mit einer Breite von rund 10cm auf die Probenoberfläche aufgesprüht wird. Die Probe wird dabei z.B. über einen Linearantrieb mit üblicherweise rund 100mm/s unter dem Zerstäuber hindurch bewegt, um einen gleichmäßigen Auftrag des Aerosols zu gewährleisten. Die erforderliche relative Bewegung zwischen Probe und Zerstäuber lässt sich laut Cherrier je nach den vorliegenden Einsatzbedingungen auch über einen Roboter realisieren, der das System über das zu prüfende Bauteil führt. „Pro cm² entstehen auf diese Weise 1.000 bis 2.000 Tröpfchen mit einem durchschnittlichen Durchmesser von 100µm.“ In Abhängigkeit von der Oberflächenenergie der zu prüfenden Oberfläche bildet sich bei diesem Vorgang ein charakteristisches Tropfenmuster, das automatisch von einem Kamerasystem erfasst und mittels Bildverarbeitung sekundenschnell ausgewertet wird. Ob eine Oberfläche die Kriterien der nachfolgenden Prozessschritte erfüllt, lässt sich dann anhand der Tropfenverteilung erkennen. Durch die Angabe von Sollwerten ist es somit möglich, die Wirksamkeit einer Vorbehandlung wie z.B. einer vorangegangenen Reinigung oder Oberflächenaktivierung auszuwerten oder Verschmutzungen auf der Oberfläche zu erfassen. Solche Kontaminationen können durch Trennmittelreste, Öle, Fette oder sogar durch Fingerabdrücke entstehen und dafür sorgen, dass Klebungen nach einer gewissen Zeit versagen oder Lackierungen vorzeitig abblättern. Mögliche Folgen sind visuelle oder funktionale Defekte des Endprodukts wie Lackblasen an Fahrzeugen oder nicht haftende Bedruckungen, die z.B. bei Etiketten für Medikamente in der Pharmaindustrie auf keinen Fall auftreten dürfen.

Bei Bedarf kann die erforderliche relative Bewegung zwischen Probe und bonNDTinspect auch über einen Roboter realisiert werden. (Bild: Fraunhofer IFAM)

Bei Bedarf kann die erforderliche relative Bewegung zwischen Probe und bonNDTinspect auch über einen Roboter realisiert werden. (Bild: Fraunhofer IFAM)

Anspruchsvolle Bildverarbeitung

Die Herausforderungen an das eingesetzte Bildverarbeitungssystem sind bei diesem Prüfverfahren groß, so Cherrier: „Zum einen entstehen aufgrund des Ablaufs über 30.000 Tröpfchen pro Sekunde, die schnell erkannt und ausgewertet werden müssen, denn durch die Verwendung von Reinstwasser trocknet die ausgewertete Fläche innerhalb kürzester Zeit rückstandslos ab, um die weitere Verarbeitung ohne Zeitverzug zu ermöglichen. Zum anderen ist das System inline-fähig und muss im Extremfall im Dauerbetrieb 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche laufen.“ Angesichts dieser schwierigen Randbedingungen griff Automation W+R auf seinen bewährten Bildverarbeitungspartner Stemmer Imaging zurück. Die Aufnahme der Tropfenmuster übernimmt in der aktuellsten Version des Prüfsystems eine monochrome 2k-Zeilenkamera des Typs Linea von Teledyne Dalsa, die zusammen mit einer telezentrischen Optik von Sill Optics für Bilder mit hoher Schärfentiefe sorgt. Die erforderliche Lichtstärke konnte durch Standardbeleuchtungen nicht erzielt werden, so dass Automation W+R dafür selbst eine spezielle Dome-Beleuchtung entwickelte. Die Auswertung der Bilder erfolgt über Common Vision Blox und eine darauf aufsetzende Bildverarbeitungssoftware von Automation W+R auf einem Industrie-PC von Beckhoff, der zudem die SPS-Funktionen für die Anlage zur Verfügung stellt. Das gesamte Prüfsystem besteht aus einem PC mit Monitor und der Auswertesoftware, dem Prüfkopf mit Ultraschallzerstäuber sowie einem Schaltschrank zur Steuerung. Eine Schnittstelle erlaubt die Anbindung an eine SPS und somit an die übergeordnete Anlage.

Erfolgreiche Erstanwendung

Erster Anwender des Systems war das Fraunhofer-Institut selbst, das zur Prüfung der Benetzungsfähigkeit von Oberflächen nach Atmosphärendruck-Plasmaaktivierung einen Prototypen am Standort Bremen eingesetzt hatten. Mit Erfolg, wie Christian Tornow, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IFAM, berichtet: „Ein automatisiertes, berührungsloses System für diese Aufgabe war bisher nicht verfügbar. Mit Bonndtinspect lassen sich Oberflächenzustände im Klebprozess nun automatisiert und sicher unterscheiden. Sowohl Kontaminationen wie Fingerabrücke oder Trennmittelreste als auch unzureichende Aktivierungen konnten wir damit sicher erkennen.“ Automation W+R ist davon überzeugt, dass das neue System nicht nur zur Inline-Prüfung der Klebebereitschaft von Oberflächen oder im Bereich der Lackierung z.B. in der Automobilindustrie oder bei der Beschichtung von elektronischen Bauelementen geeignet ist. Der Anbieter sieht zahlreiche weitere Anwendungen für das Verfahren, z.B. in der Luft- und Raumfahrt oder in der Medizintechnik.

Stemmer Imaging AG
www.stemmer-imaging.de

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