Roboterdemonstrator kombiniert Simulation und Bildverarbeitung

Roboterdemonstrator kombiniert Simulation und Bildverarbeitung

Verformte Teile? Kein Problem!

Die Handhabung biegeschlaffer Objekte mit Industrierobotern erfordert eine flexible Reaktionsfähigkeit auf Deformationen. Viele solcher Handling-Aufgaben werden daher heute manuell durchgeführt. Eine Alternative zeigt ein Ansatz auf, der eine Physiksimulation des biegeschlaffen Objekts zusammen mit dem Feedback aus einer Stereokamera nutzt. Das ISW der Uni Stuttgart hat dafür einen Demonstrator zur simulationsbasierten Positionierung realisiert.

 (Bild: Universität Stuttgart, ISW)

(Bild: Universität Stuttgart, ISW)

Ein wesentlicher Vorteil von Robotersystemen ist ihr großer Arbeitsraum gepaart mit verlässlicher Genauigkeit. Damit sind sie häufig das Mittel der Wahl für Aufgabenstellungen in der Handhabungstechnik. So bieten Roboterlösungen meist eine schnelle und präzise wiederholbare Ausführung. Damit ist die Automatisierung mit Robotern auch ein Schlüssel zur Qualitätssteigerung von Produktionsprozessen. Eine Herausforderung für heutige Robotersysteme sind jedoch Aufgaben die nicht strikt schematisch nach einem definierten Ablauf erfolgen. Ein wichtiges Anwendungsbeispiel solcher Aufgaben ist die Handhabung biegeschlaffer Bauteile.

Zustandsgraph der Anwendung zur Demonstration simulationsbasierter Positionierung biegeschlaffer Objekte (Bild: Universität Stuttgart, ISW)

Zustandsgraph der Anwendung zur Demonstration simulationsbasierter Positionierung biegeschlaffer Objekte (Bild: Universität Stuttgart, ISW)

Große Verformungen

Problematisch bei der Handhabung biegeschlaffer Bauteile wie Kabel, Schläuche oder Dichtungen sind insbesondere die großen Verformungen, die bereits bei geringen Kräften auftreten. Die Objekte verformen sich bereits durch ihr Eigengewicht, geringe Kontaktkräfte mit der Umgebung oder aufgrund der Interaktion mit dem Roboter während der Manipulation. Damit ergeben sich Unsicherheiten über den aktuellen Zustand des Bauteils, z.B. seine Position und Lage. Für viele Handhabungsaufgaben kann die Konfiguration des biegeschlaffen Bauteils während der Manipulation nicht außer Acht gelassen werden, weshalb diese heute noch weitgehend noch manuell erledigt werden. Beispiele sind die Verlegung von Kabelbäumen in der Automobilproduktion oder die Verdrahtung von Steuerungskomponenten im Schaltschrankbau. Diese Aufgaben erfordern ein enges Zusammenspiel sensorischer und motorischer Fähigkeiten, das vom Menschen gemeinhin intuitiv beherrscht wird. Die Entwicklung von technischen Systemen mit vergleichbaren Fähigkeiten ist hingegen höchst anspruchsvoll und allgemeine Lösungen zur Automatisierung von Handhabungsaufgaben für Biegeschlaffe Bauteile existieren heute nicht. Im Rahmen des Graduiertenkollegs Soft Tissue Robotics wurde ein Ansatz entwickelt, der das Deformationsverhalten biegeschlaffer Objekte über ein Simulationsmodell abbildet. Die im Modell hinterlegten kinematischen und dynamischen Zusammenhänge lassen sich dann sowohl für die Ableitung von Handhabungsstrategien als auch für die Lokalisierung des Objektes nutzen. Das Konzept wurde in Form eines Demonstrators für ein Pick&Place Szenario umgesetzt.

Roboterzelle (links) und die parallel dazu berechnete Simulationsumgebung (rechts) (Bild: Universität Stuttgart, ISW)

Roboterzelle (links) und die parallel dazu berechnete Simulationsumgebung (rechts) (Bild: Universität Stuttgart, ISW)

Aufbau des Versuchsstands

Der für die Manipulation genutzte Versuchsstand nutzt als Aktorik den siebenachsigen Leichtbauroboter Franka Emika Panda, der über eine offene C++-API mit der Physik-Simulationsumgebung Dart gekoppelt wird. Für die Ansteuerung des Roboters über dessen API wird ein Framework zur Bewegungsplanung verwendet, welches die kartesischen Positionen, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen analytisch ermittelt und in Diskretisierungsschritten von 1ms an den Roboter übergibt. Durch die Trennung von geometrischer Bahn und Geschwindigkeitsprofil kann das Einhalten dynamischer Beschränkungen, wie maximal möglicher Gelenkgeschwindigkeiten durch Skalierung der Trajektorie sichergestellt werden. Die Erkennung der deformierbaren Objekte erfolgt mit einer Stereokamera Nerian Scene Scan Pro. Durch die Nutzung eines FPGAs zur Verarbeitung der Stereobilder in eine 3D-Punktwolke lassen sich Bildfrequenzen bis zu 100Hz erreichen. Nach einer initialen Kalibrierung der Kamera selbst ist auch eine Auge/Hand-Kalibrierung (engl. Hand-Eye-Calibration) erforderlich, um die mit der Kamera gemessenen Positionen des Kabels zum Koordinatensystem des Roboters in Beziehung zu setzten. Hierbei wird am TCP des Roboters eine Kalibriertafel mit definierten Kalibriermuster (z.B. Schachbrettmuster) befestigt. Über eine Menge von mindestens drei Roboterposen und zugehörigen Aufnahmen des Kalibriermusters kann hieraus die relative Position und Orientierung zwischen Kamera und Kalibriertafel als Optimierungsproblem berechnet werden.

Simulationsbasierte Positionierung

Der Demonstrator veranschaulicht die Integration von Physiksimulation, Bilderkennung und einer darauf aufbauenden Ansteuerung des Roboters und illustriert die damit verbunden Problemstellungen sowie technische Lösungsmöglichkeiten anhand einer Pick&Place-Applikation. Zu Beginn der Anwendung wird ein biegeschlaffes Objekt – beliebig im Arbeitsraum des Roboters platziert – von der Stereokamera erfasst und als Punktwolke gesampelt. Durch geeignete Filter wird das erkannte Objekt in der Punktwolke freigestellt. Basierend auf der Repräsentation als Punktwolke wird ein Mehrkörpermodell mit voreingestellter Segmentlänge dynamisch aufgebaut. Durch die Länge der Segmente lässt sich dabei die Genauigkeit einer späteren Simulation steigern, gleichzeitig steigt aber die Rechenzeit pro Simulationsschritt. Die Kinematikbeschreibung der Bilderkennung wird nachfolgend um ein Dynamikmodell in der Simulationsumgebung erweitert. Die gesamte Simulation umfasst weiterhin den Roboter und die umgebende Zelle, wodurch auch Kontakte und Kollisionen simuliert werden können. Das simulierte Mehrkörperobjekt kann nun in der Simulation per Drag&Drop mit der Maus gegriffen und positioniert werden. Die Bewegung der mit der Maus gegriffenen Objektposition wird nach dem Positioniervorgang in der Simulation in eine Trajektorie für den Roboter übersetzt, wobei vor dem Greifen der Punkt über dem Greifpunkt auf einer Sicherheitsebene angefahren wird, um die letzte Bewegung zum Objekt orthogonal zur Tischoberfläche durchzuführen. Während der Roboterbewegung werden die Gelenkwinkel und Position der Greiferfinger mit der Simulation synchronisiert. In der Simulation und am Versuchsstand lassen sich so die simulierte und die reale Verformung des weichen Objekts nachverfolgen.

Zusammenfassung und offene Fragen

Die Schwierigkeit im Umgang mit biegeschlaffen Objekten begründet sich in der Verknüpfung der einzelnen Disziplinen. Der vorgestellte Demonstrator zeigt durch die Verknüpfung der Simulation mit Steuerung und Bilderkennung, wie dieser Ansatz funktionieren kann. Basierend auf dem realisierten Ansatz lässt sich der Handhabungsvorgang als geschlossener Regelkreis aufbauen und die Verformung des beigeschafften Objektes als Regelgröße begreifen. Der Entwurf von Regelungsstrategien zur Automatisierung von Handling-Applikationen ist damit der logische nächste Schritt. Zu beachten ist hierbei insbesondere, dass das biegeschlaffe Verhalten nicht beliebige Objektkonfigurationen stabil zulässt, daher muss die Bahnplanung bereits das physikalische Verhalten und Beschränkungen durch Kontakte berücksichtigen. Durch den hohen Rechenaufwand der Bildverarbeitung liegt eine weitere Herausforderung darin, ein kontinuierliches Feedback der Kamera zu erreichen. Dabei müssen besonders unterschiedliche Taktzeiten zwischen Simulation und Kamera-Pipeline berücksichtigt werden. Das Schließen des Regelkreises eröffnet hierbei neue Möglichkeiten in der Handhabungstechnik und wird den automatisierten Umgang mit biegeschlaffen Objekten in Zukunft einen Schritt näherbringen.

ISW Institut für Steuerungstechnik der
www.isw.uni-stuttgart.de

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