„Es ist Zeit für die dritte Generation“

Thomas Hähn, CEO der United Robotics Group, im Interview

„Es ist Zeit für die dritte Generation“

Die United Robotics Group (URG), ein Zusammenschluss verschiedener Unternehmen aus dem Service- und Industrierobotikbereich, beschäftigt sich derzeit mit der Entwicklung einer neuen Generation Roboter. Nach dem klassischen, großen Industrieroboter und dem kleinen, leichten Cobot sollen nun die CobiotX kommen. Dabei handelt es sich um eine Wortkombination aus Co für kollaborieren, Bio für Leben und Emotionen, Bot für Automatisierung und X für Vielseitigkeit. Im Gespräch mit Thomas Hähn, dem CEO der URG, geht ROBOTIK UND PRODUKTION den neuartigen kollaborierenden Servicerobotern auf den Grund.

Serviceroboter, wie Pepper, können schon heute Fachkräfte in der Pflege unterstützen. Doch die United Robotics Group arbeitet bereits schon an der nächsten Generation Serviceroboter: an den CobiotX. (Bild: United Robotics Group GmbH)
Serviceroboter, wie Pepper, können schon heute Fachkräfte in der Pflege unterstützen. Doch die United Robotics Group arbeitet bereits schon an der nächsten Generation Serviceroboter: an den CobiotX. (Bild: United Robotics Group GmbH)


ROBOTIK UND PRODUKTION: Sehr geehrter Herr Hähn, auf der diesjährigen Automatica hat die URG die sogenannten CobiotX vorgestellt, eine neue Generation kollaborierender Roboter. Können Sie für unsere Leser noch einmal zusammenfassen, was diese von heutigen Cobots unterscheidet?

Thomas Hähn: Wir sind fest davon überzeugt, dass jetzt der Zeitpunkt für eine dritte Generation an Robotern gekommen ist. Zur ersten Generation gehören z.B. Roboter, die automatisiert Autos zusammenschweißen. Dabei handelt es sich um schwere und beängstigende Maschinen. Die zweite Generation ist das, was wir unter Cobots verstehen. Das sind leichte, einfache Roboter, die zusammen mit Menschen arbeiten können, weil sie Sensoren haben. Wir arbeiten derzeit schon an der dritten Generation, weil wir glauben, dass auch diese Cobots in unserem täglichen Umfeld zu sehr an Maschinen erinnern. Um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, brauchen wir Assistenzroboter, die nicht wie Maschinen agieren, sondern für uns sympathisch und hilfreich erscheinen. Dabei geht es nicht nur um das Sehen und Fühlen des Roboters, sondern auch um das Design. Hier spielt nicht nur das Aussehen eine Rolle, es geht auch darum, wie Bewegungen designt sind und wie die interaktive Kommunikation mit dem Menschen funktioniert. Wie sollten Roboter antworten? Sollten sie z.B. eine Computerstimme haben oder eine menschliche? Hierfür müssen wir eine eigene sympathische Kommunikationsform entwickeln.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Firmen sind im Rahmen der URG an der Entwicklung der CobiotX beteiligt?

Alle acht Firmen, die zur United Robotics Group gehören, sind auch an der Entwicklung der CobiotX beteiligt. Außerdem arbeiten wir mit Kliniken, Hochschulen, Instituten und weiteren Partnerunternehmen zusammen, deren Technik wir einsetzen. In unserem Robotikunternehmen arbeiten nicht nur Ingenieure und Techniker zusammen. Ein Drittel unserer Belegschaft kommt aus völlig artfremden Berufen, wie Philosophie, Pädagogik oder der Pflege und dem Health-Care-Sektor. Unsere Philosophen beschäftigen sich z.B. damit, die verschiedenen Customer Use Cases aus dem Blickwinkel der jeweils betroffenen Personengruppe zu beschreiben und daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie die jeweilige automatisierte Lösung genau aussehen sollte. Z.B. kann es für Bewohner eines Altenheimes beängstigend sein, wenn ihnen ein mechanischer Greifarm ein Glas Wasser reicht. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist wirklich ein Augenöffner.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Anwendungen adressieren Sie genau mit Ihren CobiotX?

Viele Serviceroboter werden für Anwendungen im Haushalt entwickelt. Aber hier liegen unserer Auffassung nach nicht die wirklichen Probleme der Gesellschaft. Diese liegen z.B. im Krankenhaus und in der Pflege. Bei einem Meeting in einer geriatrischen Klinik kam z.B. heraus, dass dort eine Assistenz gebraucht wird, die den Pflegekräften alle zusätzlichen Arbeiten abnimmt, damit diese am Patient arbeiten können. Wir brauchen keinen Roboter, der Patienten hochhebt und wendet. Wir brauchen viel mehr einen Roboter, der Medikamente bereitstellt und sicher stellt, dass sie dem richtigen Patienten zur richtigen Zeit übergeben werden. Damit können Pflegekräfte wertvolle Zeit gewinnen, die sie für die Arbeit am Patienten nutzen können. Die Gesellschaft braucht keinen Roboter, der zu Hause die Spülmaschine einräumt.

Ein weiterer Use Case wäre z.B. eine Großküche, wo ein Mitarbeiter bisher acht Stunden am Tag nur Kartoffeln schält. Dabei darf man diese Arbeit nicht gering schätzen. Aber auch für diesen Mitarbeiter gibt es abwechslungsreichere und kreativere Tätigkeiten zu tun, als nur Kartoffeln zu schälen. Wir müssen automatisierte Lösungen entwickeln, die einen Teil dieser einfachen Arbeiten übernehmen.

Wir steuern hier gerade auf einen größeren gesellschaftlichen Diskurs zu. Die Menschen, die diesen einfachen Tätigkeiten nachgehen, dürfen nicht einfach im Stich gelassen werden. Hierfür ist ein Transformationsprozess nötig. Wir haben z.B. Roboter an eine Behindertenwerkstatt geliefert, die den beeinträchtigten Menschen bei ihrer z.T. sehr monotonen Arbeit assistieren. Selbst dort sind diese Roboter willkommen. Wo vorher nur Teile von rechts nach links gelegt wurden, kann jetzt eine Arbeitsstufe darüber erledigt werden. Hier ist der Transformationsprozess gelungen. Diese gesamtgesellschaftliche Transformation wird aber natürlich noch eine ganze Zeit dauern. Aber das muss der gesellschaftliche Anspruch sein.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Sind Sie als United Robotics Group auch an diesem gesellschaftlichen Diskurs beteiligt oder kümmern Sie sich nur um die Entwicklung der Roboter?

Nein, unsere Aufgabe als URG ist nicht nur, die CobiotX zu entwickeln, sondern wir sind auch dabei, Prozesse zu überarbeiten und direkt in diesen gesellschaftlichen Diskurs einzusteigen. Wir können gar nicht die passenden Roboter entwickeln, wenn wir nicht genau wissen, wie diese Prozesse funktionieren und welche Schwierigkeiten und Notwendigkeiten hier auf uns warten. Wir müssen auch überlegen, wie wir die Menschen dahin mitnehmen können. Man muss die Entwicklung der neuen Robotergeneration ganzheitlich betrachten. Wir planen derzeit ein spezielles Talk-Format, das sich auch mitunter kritisch mit diesem Thema auseinandersetzen soll.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Beim Robotereinsatz nahe am Menschen, z.B. in Altersheimen und Krankenhäusern, aber auch im Hotel- oder Gaststättenbetrieb, spielt die Akzeptanz des maschinellen Helfers eine große Rolle. Wie erreichen Sie es, dass Ihre Roboter als freundlich, harmlos und hilfsbereit wahrgenommen werden?

Das Design des Roboters ist hier entscheidend. Es muss freundlich sein, es darf nicht zu robotisch, aber auch nicht zu menschenähnlich sein. Das wäre wiederum beängstigend. Da bleibt noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten. Ein weiterer Aspekt ist, wie viel Entscheidungsfreiheit wir dem Roboter zugestehen. Lassen wir ihn gar nichts entscheiden, kann er nicht richtig assistieren. Ein Roboter, der aber per KI alles selbst entscheidet, ist zu beängstigend.

Eine große Rolle spielt natürlich auch das Gesicht des Roboters. Hier haben wir innerhalb der URG zwei Unternehmen, die sich mit dem Design eines Robotergesichts bereits beschäftigt haben. Das sind Aldebaran Robotics und Rethink Robotics, mit Pepper und Nao bzw. Sawyer. Nao und Pepper haben ein tatsächliches Hardwaregesicht, das sehr freundlich und sympathisch wirkt. Bei dem Sawyer-Gesicht auf dem Display haben wir eine ähnliche Wirkung. Wir wollen eine Kombination aus beidem entwickeln. Es gibt Anwendungen, innerhalb derer ein Display völlig ausreichend ist, und Anwendungen, die einen humanoiden Kopf benötigen.

Eine weitere Komponente unserer Arbeit ist das Sound Design. Wir brauchen klar erkennbare Geräusche, die uns mitteilen, dass ein Roboter gerade in unserer Nähe ist. Hier wäre ein Summton oder ein anderes spezielles Geräusch denkbar. Darüber hinaus muss es eine verbale Kommunikation geben. Für unseren Servierroboter Plato haben wir z.B. eine neutrale Roboterstimme entwickelt, um weder männlich noch weiblich noch zu menschennah zu wirken. Es ist eine künstliche Stimme, die aber nicht robotisch klingt.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Welche Rolle spielen die Größe der Roboter und die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen? Was bedeutet das für die Effizienz solcher Lösungen?

Wir haben mit dem Hinzustoßen von Aldebaran Robotics Experten an Board bekommen, die 15 Jahre an dem Serviceroboter Pepper gearbeitet und sich genau mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben. Die Größe von Pepper ist genau die Größe, die für den Menschen nicht bedrohlich und noch sympathisch ist, aber auch nicht zu klein, um wahrgenommen zu werden.

Was die Geschwindigkeit angeht, kommt es sehr auf die jeweilige Anwendung an. Ein Roboter im Restaurant darf sich nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell bewegen. Der Gast möchte zügig seine Bestellung haben, aber ein Roboter, der sich sehr schnell bewegt, sehr eng an den Stühlen vorbeifährt oder ständig stoppen muss, würde ihn nervös machen. Hier hat Aldebaran sehr viel Forschung hineingesteckt, um die richtige Geschwindigkeit und die richtige Wegplanung zu entwickeln. Aber es gibt auch Felder, in denen Effizienz sehr wohl eine Rolle spielt. In einem Labor z.B. darf ein Roboter nicht deutlich langsamer als ein menschlicher Mitarbeiter sein. In Bezug auf die richtige Geschwindigkeit müssen wir sehr genau hinsehen, um was für eine Anwendung es sich handelt.

„Die Gesellschaft braucht keinen Roboter, der zu Hause die Spülmaschine einräumt. Unsere Probleme liegen im Krankenhaus und in der Pflege.“ Thomas Hähn, United Robotics Group (Bild: Bild: United Robotics Group)

ROBOTIK UND PRODUKTION: Sind die CobiotX auch im ­industriellen Einsatz denkbar? Was wären Vor- aber auch Nachteile gegenüber klassischen Cobots oder Leichtbaurobotern?

Wir adressieren industrielle Bereiche nur dort, wo auch Menschen arbeiten. Denkbar wäre z.B. eine Manufaktur, wo viel noch von Hand gemacht werden muss. Auch hier könnte ein freundlicher ­Serviceroboter bei einfachen Arbeiten unterstützen. Da lassen sich die gleichen Maßstäbe ansetzen, wie bei Robotern, die im Krankenhaus oder in der Pflege eingesetzt werden. Auch hier ist ein angenehmer Roboter mehr willkommen als ein erschreckendes, beängstigendes Exemplar. Es hat sich gezeigt, dass Menschen auch zu Maschinen oder Robotern eine Art Bindung oder Beziehung aufbauen können. Hier wollen wir, unter Wahrung aller ethischen und sicherheitsrelevanten Aspekte, mit unseren Lösungen ansetzen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Wann rechnen Sie mit der Marktreife?

Im Oktober diesen Jahres kommt bereits unser Food-Serving-Roboter Plato auf den Markt. Aber natürlich sind noch viele weitere Projekte in der Pipeline. Wir haben gerade eine Roboterserie für den Laborbereich gelauncht. Aber schon für nächstes Jahr sind weitere Roboter­modelle geplant. 

www.unitedrobotics.group

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