Linearsysteme oder Sechachsroboter
Bisweilen die bessere Alternative
Nicht für alle Anwendungen bilden Knickarmroboter die optimale Lösung. Bei hohen Anforderungen hinsichtlich Reichweite, Tragfähigkeit, Dynamik oder Bauraum bieten Mehrachssysteme in vielen Fällen sowohl technisch als auch wirtschaftlich attraktive Optionen. Das eröffnet neue Wege für die Industrieautomation.
Für viele sei Automatisierung gleichbedeutend mit Roboterisierung, sagt Andreas Kaiser, Vertriebsleiter Linearachsen bei Rollon. „Roboter sind in zahlreichen Anwendungen die richtige Wahl, doch ein Universalmittel sind sie keineswegs.“ Geht es um sehr lange Verfahrwege, schwere Lasten, große Arbeitsräume oder beengte Platzverhältnisse, kommen sie bisweilen an ihre Grenzen. Bei der Automatisierung von Prozessen empfiehlt es sich immer, auch über Alternativen nachzudenken. Denn die Kombination von Linearbewegungen kann in vielen Fällen die technisch sowie wirtschaftlich bessere Wahl sein.
Ihre Stärken können Mehrachssysteme etwa bei hohen Anforderungen hinsichtlich Dynamik, Reichweite, Tragfähigkeit oder Bauraum ausspielen. Müssen sehr große Entfernungen überbrückt werden, bringen klassische Roboter naturgemäß eine gewisse Limitierung mit. Hier sind Linearachsen klar im Vorteil: Sie können potenziell unendliche Hübe überwinden und sich zwischen weit entfernten Prozesspunkten hin- und her bewegen. „Hier müsste ein ganzes Team von Robotern zum Einsatz kommen, um die gleiche Aufgabe zu erledigen“, betont Kaiser. „Sie würden sowohl mehr Platz in Anspruch nehmen als auch die Kosten in die Höhe treiben.“ Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn auf der vertikalen Z-Achse schwere Lasten bewegt werden sollen. Übernimmt ein Roboter diese Aufgabe, wird er schnell zum Riesen. Mehrachssysteme dagegen kommen mit wenig Platz aus und lassen sich meist unkompliziert in bestehende Produktions-Layouts integrieren. Zudem bieten sie eine höhere Tragfähigkeit auf der Z-Achse als eine vergleichbare Roboterlösung und können deutlich dynamischer betrieben werden.
Mehr Freiheiten für die Z-Achse
Darüber hinaus erfüllen die kartesischen Lösungen auch den Bedarf an unabhängigen Bewegungen auf nur einer Achse. Die Achsen X, Y und Z lassen sich individuell ansteuern und können je nach Kundenanforderung einzeln oder gleichzeitig bewegt werden. Das wird durch den Einsatz mehrerer Läufer mit jeweils eigenem Antrieb erreicht. So lassen sich verschiedene Bereiche des Produktionsprozesses auf unterschiedliche – und spezifische – Weise versorgen. „Es ist etwa möglich, einen Zahnstangenantrieb auf der Y-Achse mit einer synchronisierten X-Achse und einer unabhängigen Z-Achse oder anderen spezifischen Kombinationen zu verwenden“, erklärt Kaiser. „Je nach Anwendung können dabei bis zu 14 Läufer gleichzeitig und unabhängig voneinander bewegt werden.“ Das ist vor allem für Verkettungssysteme oder Pick&Place-Lösungen mit einer Vielzahl an vertikalen Z-Achsen interessant.
Zur Aufgabe passender Antrieb
Nicht selten müssen die XYZ-Konfigurationen der kartesischen Robotik Distanzen im zweistelligen Meter-Bereich überbrücken und dabei schwere Teile handhaben. Ist das der Fall, sind Zahnstangenantriebe die Technologie der Wahl. Sie bringen die notwendige Steifigkeit mit, um große Massen über weite Strecken punktgenau zu positionieren. Riemenantriebe sind die Spezialisten für hohe Dynamiken. Sie erreichen Beschleunigungen bis 50m/s2 sowie Geschwindigkeiten bis 5m/s und tragen so zur Verkürzung von Zykluszeiten bei. Geht es dagegen um maximale Präzision, kommt man an einem Kugelgewindetrieb nicht vorbei. Mit einer Wiederholgenauigkeit bis ±5 sind sie die unangefochtenen Präzisionsexperten.
Anwendung bestimmt Lösung
Ob Werkstück-Handling, Palettierung, Transport oder Verkettung mehrerer Arbeitsstationen – Mehrachssysteme von Rollon finden sich in einer Vielzahl an Branchen und Anwendungen. Dabei arbeitet der Anbieter eng mit Systemintegratoren und Maschinenbauern zusammen und realisiert so individualisierte Komplettsysteme. So auch bei einer aktuellen Blechhandling-Lösung von KUK-Automation, für das Rollon die Achsauslegung übernommen hat. Hier war schnell klar: Nicht für alle Aufgaben ist ein Roboter sinnvoll. So ist er zwar gut für das Einlegen der geölten Bleche in die Presse und das Ablegen der Fertigteile geeignet – und kommt dort auch zum Einsatz. Um das Handling der Rohteilstapel und die Zuführung der Bleche zur Beölungsstation kümmert sich dagegen ein kartesisches Dreiachssystem. Aufgrund des geringen Platzangebots und Verfahrwegen über 4m sowie der kurzen Taktzeit (120 Bleche pro Stunde) wäre ein Roboter für diese Tätigkeiten nicht wirtschaftlich gewesen. Die benötigte Größe und Stellfläche hätten die Kosten unverhältnismäßig steigen lassen. Ein weiteres Plus des Linearachssystems: Die kartesische Lösung lässt sich unkompliziert an neue Blech-Varianten anpassen.
Die Blechbearbeitung ist dabei nur ein Einsatzbereich, auch in anderen Industriezweigen wie Verpackungsmaschinenbau, Logistik, Lebensmittel- und Getränkeherstellung, Automobilindustrie sowie Beschichtungs- und Lackieranlagen sind die spezifischen Eigenschaften von Mehrachssystemen gefragt – nahezu grenzenloser Aktionsradius, hohe Dynamik, große Flexibilität sowie einfache Installation und Wartung. „Insbesondere bei schweren Lasten und/oder einem großen Arbeitsbereich mit mehreren Stationen gibt es eigentlich keine wirkliche Alternative zu einem kartesischen System“, zieht Kaiser sein Resümee. Bevor also vorschnell die Entscheidung zugunsten eines Roboters fällt, sollte anhand der Applikationsanforderungen genau geklärt werden, ob ein Mehrachssystem nicht möglicherweise die bessere Option ist.