Der goldene Schnitt

Sterile Zelle mit Kawasaki-Robotern und Laser-System

Der goldene Schnitt

Seit mehr als 100 Jahren beschäftigt sich das Familienunternehmen Bock Bio Science mit der In-vitro- und gärtnerischen Vermehrung von Pflanzen. Vor zehn Jahren entstand die Idee zu RoBoCut, der automatisierten, laserbasierten Vermehrung von Pflanzen, einer zuverlässigen, kostengünstigen und nachhaltigen Lösung. Sie besteht aus einer Zelle mit vier Kawasaki-Robotern und einem Laser-System. Die Roboter handeln die Pflanzen vollständig steril. Per künstlicher Intelligenz und Bildverarbeitung wird die bestmögliche Schnittlinie für die Vermehrung der Pflanzen bestimmt.

Entnahme, Kameraerfassung, Schnitt und Einsetzen in den Nährboden: Jeder Schritt der Pflanzenvermehrung erfolgt beim RoBoCut-System vollständig automatisch. (Bild: Kawasaki Robotics GmbH)

Entnahme, Kameraerfassung, Schnitt und Einsetzen in den Nährboden: Jeder Schritt der Pflanzenvermehrung erfolgt beim RoBoCut-System vollständig automatisch. (Bild: Kawasaki Robotics GmbH)

Die Idee hinter dem Projekt RoBoCut: sterile Pflanzen im In-vitro-Labor automatisch vermehren. Der Prozess ist auf dem Papier schnell erklärt: Erkennen und greifen, Schnittlinien legen, schneiden, aufnehmen und in frische Becher setzen. Das System setzt dabei auf einen Laser an einem Roboterarm statt auf das übliche Skalpell. So ist ein sauberer und präziser Schnitt für die bestmögliche Vermehrung möglich.

Die Zelle mit vier Kawasaki-Robotern bedient primär große In-vitro-Laboratorien weltweit. Diese beschäftigen an speziell eingerichteten Werkbankplätzen tausende Mitarbeiter. Das Automatisierungspotenzial dort ist entsprechend groß. Doch die Lösung richtet sich auch an Züchter und Jungpflanzenproduzenten.

Vier Kawasaki-Roboter vom Typ RS007N und RS007L 
sind das Herzstück der Bio-Science-Lösung. (Bild: Kawasaki Robotics GmbH)

Vier Kawasaki-Roboter vom Typ RS007N und RS007L
sind das Herzstück der Bio-Science-Lösung. (Bild: Kawasaki Robotics GmbH)

Automatisierte Vermehrung von Pflanzen

Bock Bio Science ist ein klassisches Pflanzen- und Gewebekulturlabor – mit dem Ziel die Vermehrung im Labor zu automatisieren. Bislang war das vor allem über die Arbeit in Niedriglohnländern möglich. Doch Friederike und Stephan von Rundstedt waren sich schnell sicher: Die Vermehrung sollte in Bremen bleiben, inklusive dem Fachwissen. Die Reise begann mit der Vermehrung seltener Orchideen. Erste Gespräche mit Automatisierungspartnern vor rund zehn Jahren ergaben zunächst ein durchwachsenes Feedback: „Zu komplex, mehr als 40 Entscheidungen pro Minute an der Werkbank, das kann keine Maschine“, erinnert sich Friederike von Rundstedt an die Antworten. „Mit dem Aufkommen von künstlicher Intelligenz, Machine Learning und Bilderkennung änderte sich das langsam, aber sicher“, fügt die studierte Gartenbauwissenschaftlerin hinzu.

Zu Beginn wurde RoBoCut nur für Bock Bio Science selbst entwickelt, doch schon nach den ersten Vorstellungen wuchs das Interesse von außen rapide. Schnell stand fest: Die Lösung soll auch Wettbewerbern angeboten werden. Künftig werden die Maschinen an die frühere Konkurrenz geliefert.

Bei einem Besuch von Stephan von Rundstedt mit einer Mitarbeiterin der Hannover Messe kam es zum ersten Gespräch am Stand von Kawasaki Robotics. Dort kam man schnell ins Gespräch mit dem langjährigen Kawasaki Integrator DMP. Die Chemie stimmte sofort: Geschäftsführer Franz-Josef Diekstall war von der Idee von Anfang an begeistert und sofort an Bord. „Man muss jemanden finden, der tickt wie man selbst und ‚out of the box‘ denkt – und Herr Diekstall war genauso verrückt wie wir“, lacht Stephan von Rundstedt.

Von Orchideen bis zu Kartoffeln: Die Einsatzmöglichkeiten 
der Robocut-Lösung sind nahezu unbegrenzt. (Bild: Kawasaki Robotics GmbH)

Von Orchideen bis zu Kartoffeln: Die Einsatzmöglichkeiten der Robocut-Lösung sind nahezu unbegrenzt. (Bild: Kawasaki Robotics GmbH)

Sterile Zelle mit vier Robotern

Beim RoBoCut-System handelt es sich um eine vollständig sterile Zelle, ausgestattet mit einem RS007L- und drei RS007N-Robotern von Kawasaki Robotics. Über einen Infeed werden Becher mit zu vermehrenden Pflanzen zugeführt. Diese werden geöffnet und jeweils eine einzelne Pflanze von einem Roboter mit mechanischem Greifer entnommen und einem Bilderkennungssystem präsentiert. Dort wird die Pflanze innerhalb von 0,3s präzise erfasst und die Schnittlinien definiert.

Anschließend wird die Pflanze in die sogenannte Laserkammer transferiert, wo sie gemäß der gelegten Schnittlinie geteilt wird. Hier findet die eigentliche automatische Vermehrung statt: Der Laser teilt die Pflanze in einzelne Sprosse, die auf ein steriles Laufband platziert werden. Von dort werden sie von einem weiteren Roboter gegriffen und in einen neuen Becher mit frischem Agar-Agar-Nährboden gesetzt. Der Becher wird geschlossen und verlässt über den Outfeed die Maschine. Die Automatisierung mit RoBoCut erlaubt ein berührungsloses Handling der Pflanzen im sterilen Raum – ohne menschlichen Kontakt.

Der Vorteil des Lasers gegenüber herkömmlichen Skalpellen: Ein Laserstrahl hat im Vergleich nur ein Viertel der Dicke eines Skalpells. Der Schnitt ist absolut präzise, schnell und verursacht keinerlei Beschädigungen an der Pflanze. Kombiniert mit der Bilderkennung des Systems kann der Laser zudem exakt entlang der natürlichen Wachstumslinie schneiden. Das Ergebnis: Ein deutlich besseres Wachstum bei den neuen Pflanzen, da diese Nährstoffe sofort intensiver aufnehmen können.

Entwickelt wurde RoBoCut zwar zunächst für die schwer vermehrbaren Phalaenopsis-Orchideen, doch das System eignet sich auch für die Vermehrung zahlreicher weiterer Pflanzen – darunter Zierpflanzen, Gehölze, Stauden oder ernährungsrelevante Pflanzen wie Kartoffeln. Doch auch außerhalb der Pflanzen- und Gewebekultur – in der vegetativen Vermehrung – soll RoBoCut künftig zum Einsatz kommen. Das ist insbesondere für Stecklingsproduzenten relevant, z.B. für Eukalyptus, Straßenbäume, Beet- oder Balkonpflanzen. Mehrere weitere Kulturen werden in den nächsten Jahren folgen.

Künstliche Intelligenz definiert Schnittlinien

Künstliche Intelligenz spielt bei RoBoCut eine Schlüsselrolle: Neben den vier Controllern für die Roboter sind drei Industrie-PCs und ein KI-Server verbaut. 16 Kameras sorgen für den nötigen Input für die Vision-Recognition-Software. Die KI kommt bei nahezu jedem Prozessschritt zum Einsatz, z.B. bei der Erkennung nach der Entnahme. Auf Basis dieser Aufnahmen wird ein 3D-Modell erzeugt, an dem mittels KI die Schnittlinien definiert werden. Bevor im nächsten Schritt der Laserschnitt vorgenommen wird, wird die Pflanze nochmals erfasst und das 3D-Modell abgeglichen – so können eventuelle Verschiebungen während des Transports leicht kompensiert werden.

Die letzte Herausforderung im Prozess: Die richtigen Pflanzenteile in der passenden Position vom Fließband zu entnehmen und in das Agar-Agar-Medium zu setzen. Durch den Einsatz der KI erhält der Roboter die exakten Informationen, um unerwünschte Pflanzenteile auszusortieren und die richtigen Ableger präzise zu entnehmen und zu platzieren.

Kawasaki Robotics GmbH
www.kawasakirobot.de

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