Trendumfrage zum Thema intelligente Pick-Prozesse per Roboter

„Ein neues Paradigma im Picking“

In der aktuellen Trendumfrage hat ROBOTIK UND PRODUKTION vier Firmen zu ihren Lösungen für intelligente Pick-Prozesse befragt. Dabei ging es um erste Praxiserfahrungen, die Anforderungen der Anwender und den Trainingsaufwand für die zum Einsatz kommende künstliche Intelligenz. Es antworteten Tianlan Shao, Gründer und CEO von Mech-Mind Robotics, Robert Koopmann, technischer Leiter bei Fanuc Deutschland, Christopher Schütte, Business Owner des internen Incubators Robotics AI bei Siemens, sowie Jörg Rommelfanger, Leiter der Robotics-Division von ABB.

Was zeichnet Ihre Lösung für intelligentes Picking aus? Welche USPs beanspruchen Sie für sich?

Tianlan Shao, Mech-Mind Robotics: Bei Mech-Mind Robotics bieten wir unseren Kunden eine umfangreiche Komplettlösung, bestehend aus 3D-Kameras und auf diese abgestimmte Vision- und Robotersteuerungssoftware. Ein Vorteil unserer Lösung ist, dass diese für eine große Vielfalt an Aufgaben, wie z.B. Depalettierung, Montage, Lokalisierung oder Messen, geeignet ist. Hinzu kommt unser Serviceangebot, wie z.B. Schulungen, ausführliche Dokumentationen oder weltweiter Vor-Ort-Service.

Robert Koopmann, Fanuc: Der Vorteil unseres vollintegrierten Vision-Systems ist es, dass keine zusätzliche Hardware benötigt wird. Unsere Systeme sind vollständig integriert in unsere Robotersteuerung und damit einher geht eine möglichst einfache Inbetriebnahme. Bahnplanung und Verarbeitung der Daten finden in der Robotersteuerung statt. Somit gibt es keine Schnittstellenproblematiken.

Christopher Schütte, Siemens: Unsere Produkte und Services ermöglichen Lösungsanbietern einen einfachen Zugang zur KI-befähigten Robotik. Simatic Robot Pick AI ist eine generische KI-Fähigkeit, die beliebige Roboter für intelligente Bin-Picking-Lösungen befähigt, z.B. in Warenlagern mit breitem oder variablem Artikelspektrum. Sie trifft prozesssichere Entscheidungen für 3D-Pick-Posen an beliebigen, unbekannten Objekten in Millisekunden. Generisch bedeutet, kein Training durch Anwender für hochflexible Lösungen; erweiterbar z.B. um eine Placing-Fähigkeit. Der modulare und hardwareunabhängige Ansatz erlaubt Lösungen nach Kundenbedarf und Budget. Anwender können die Fähigkeiten im TIA Portal nutzen und somit SPS-Automatisierung, HMI, Roboterlogik und Roboter-KI vereinen.

3D-Vision in Kombination mit maschinellem Lernen kann selbst hochkomplexe Probleme verlässlich lösen, Robustheit und Benutzbarkeit verbessern und leitet gerade ein neues Paradigma im Picking ein.

Christopher Schütte, Siemens
3D-Vision in Kombination 
mit maschinellem Lernen kann selbst hochkomplexe Probleme verlässlich lösen, Robustheit und Benutzbarkeit verbessern und leitet gerade ein neues Paradigma im Picking ein.
Christopher Schütte, Siemens
Christopher Schütte, Siemens – Bild: Siemens AG

Jörg Rommelfanger, ABB: Der Robotic Item Picker von ABB ermittelt mittels Machine Vision und KI die bestmöglichen Greifpunkte, bevor der Vakuumgreifer den Artikel aufnimmt und in die vorgesehenen Behälter legt. Das System benötigt keine menschliche Überwachung oder Informationen über die physischen Eigenschaften der Artikel. Mit einer Pickrate bis 1.400 Artikeln pro Stunde können Unternehmen mehr Aufträge abwickeln, ohne den Personalbestand oder den Zeitaufwand erhöhen zu müssen. Ausgestattet mit einem Roboter, Vakuumgreifern und einer Bildverarbeitungssoftware übernimmt der Robotic Item Picker vollautomatisch komplexe Pick&Place-Aufgaben. Er lässt sich einfach in vorhandene Ein- und Auslagerungssysteme integrieren.

Wie sehen Ihre bisherigen Praxiserfahrungen mit intelligentem Picking aus? Welche Anforderungen stellt der Anwender an solch eine Applikation?

Schütte, Siemens: Aufgrund langanhaltender Trends ist gerade in den letzten zwei Jahren der Bedarf an intelligenten Pick-Lösungen, besonders im Onlinehandel, deutlich gestiegen. Durch ein zunehmendes Teilespektrum werden diese auch in Produktionsprozessen relevanter. Nichtsdestotrotz, der Markt hierfür befindet sich noch in seiner Beweisphase. Die Technologie zeigt jedoch bereits an vielen Stellen die erforderliche Prozesssicherheit. Erfahrungen mit diesem neuen, KI-befähigten Robotic-Piece-Picking-Paradigma fehlen in der Breite noch auf Systemzulieferer-, Integrator- wie auf Anwenderseite. Wir haben Kunden auf allen Ebenen, die zunächst einmal Erfahrungen und Vertrauen aufbauen wollten. Hier gilt es einen niederschwelligen Einstieg anzubieten – Stichwort Ease of use, vorhandene Experten und Wirtschaftlichkeit. Endanwender zielen dann auf einen überzeugenden Return on Investment zu ihren heute manuellen Picking-Prozessen. Dass die Technik keine 100%-ige Prozesssicherheit ermöglicht, wird akzeptiert und Wartbarkeit durch vorhandenes Personal wird daher eine relevante Anforderung.

Rommelfanger, ABB: Aufgrund des explosionsartigen Wachstums des E-Commerce, sich verändernder Kundenbedürfnisse und des weltweiten Arbeitskräftemangels installieren unsere Kunden flexible Automatisierungslösungen, die die Auftragsabwicklung und den Versand beschleunigen und effizienter gestalten. Unsere Kunden fordern eine Picking-Lösung, die flexibel eingesetzt werden, eine breite Palette von Artikeln aufnehmen und mit verschiedenen Greifern, Robotern und Software an ihre Bedürfnisse angepasst werden kann. Zudem wollen Anwender Lösungen schnell in Betrieb nehmen, weshalb wir beim Robotic Item Picker auf ein vorkonfiguriertes und getestetes System setzen, das sich leicht integrieren lässt.

Unser Konzept für die flexible Fertigung von morgen verbindet KI-gestützte Bildverarbeitung, mobile Roboter und modulare Zellen in einer einzigen Fabriksimulation.

Jörg Rommelfanger, ABB
Unser Konzept für die 
flexible Fertigung von morgen verbindet KI-gestützte Bildverarbeitung, mobile Roboter und modulare Zellen in einer einzigen Fabriksimulation.
Jörg Rommelfanger, ABB
Jörg Rommelfanger, ABBBild: ABB AG

Shao, Mech-Mind Robotics: Über die letzten Jahre haben wir weltweit mehrere tausend Kunden aus verschiedenen Branchen beliefert. Auch in der Automobilindustrie, wo ja bekannterweise mit die höchsten Anforderungen gestellt werden. Schaut man sich nur das einzelne, individuelle Projekt an, stellt es sich oft nicht als besonders schwierig dar. Die Herausforderung besteht darin, dass die Bedürfnisse sehr vielfältig und individuell sind. Weder der Endbenutzer noch die Integratoren können sich die Kosten für die Entwicklung und Erlernung vieler unterschiedlicher Systeme für jede individuelle Anforderung leisten. Daher ist es für die Kunden extrem wichtig, dass die Lösung zuverlässig, vielseitig nutzbar und gleichzeitig leicht zu bedienen ist.

Koopmann, Fanuc: Verglichen mit klassischen 2D- oder 3D-Vision-Aufgaben sehen wir das Bin Picking nach wie vor als Herausforderung, bei der die Rahmenparameter zusammen mit dem Kunden genau geprüft werden müssen. Nur in einem intensiven Austausch über die technischen Möglichkeiten und Kundenanforderungen lassen sich Lösungen erarbeiten, die die Zielsetzung erfüllen. Für Anwender ist neben der oftmals sehr großen Teilevielfalt ein möglichst einfach zu bedienendes System wichtig, da vor Ort immer seltener Fachpersonal verfügbar ist.

Welche Herausforderungen sehen Sie heute noch beim Picking und wie kann künstliche Intelligenz bei deren Lösung helfen?

Shao, Mech-Mind Robotics: Bei unseren Lösungen setzen wir bereits auf einen hohen Einsatz von künstlicher Intelligenz. Ob intelligente Bahnplanung, Kollisionserkennung oder Deep Learning – intelligente Algorithmen sorgen für einen reibungslosen Ablauf der Projekte. Hier zeigt sich, dass KI ein bewährtes und leicht zu nutzendes Werkzeug ist. Das Thema Vision ist heute, im Vergleich zum Greifer, auch weit weniger der Knackpunkt bei Picking-Anwendungen.

Das Thema Vision ist heute, 
im Vergleich zum Greifer, weit 
weniger der Knackpunkt bei 
Picking-Anwendungen.
Tianlan Shao, Mech-Mind Robotics
Tianlan Shao, Mech-Mind RoboticsBild: Mech-Mind Robotics GmbH

Das Thema Vision ist heute, im Vergleich zum Greifer, weit weniger der Knackpunkt bei Picking-Anwendungen.

Tianlan Shao, Mech-Mind Robotics

Schütte, Siemens: Es gibt drei große Hindernisse hin zur breiten Akzeptanz von Robot-Picking-Lösungen: Ein fehlender Zugang der Breite zur neuen Technologie, fehlende Wirtschaftlichkeit für KMUs und fehlende Experten am Markt. Die Zahl an Anwendern mit Robotererfahrung wächst. Intelligentes Robot Picking ist jedoch komplexer. Viele Anwender kennen sich selbst noch nicht mit traditioneller, regelbasierter 3D-Bildverarbeitung zur Greifposenbestimmung aus. Anwendungsfälle mit hohem Bedarf an kognitiver Flexibilität, wie dem intelligenten Picking & Packing unbekannter Objekte, bleiben zu komplex. 3D-Vision in Kombination mit maschinellem Lernen kann selbst diese hochkomplexen Probleme verlässlich lösen, Robustheit und Benutzbarkeit verbessern und leitet gerade ein neues Paradigma im Picking ein. Neuronale Netzwerke können generisch vortrainiert und gekapselt Anwendern ohne KI- und Vision- Expertise an die Hand gegeben werden.

Koopmann, Fanuc: Der Hauptvorteil künstlicher Intelligenz liegt für uns in der Verkürzung der Inbetriebnahmezeiten, speziell für neue Produkte. Viele Arbeitsschritte, die sonst aufwendig von Hand von einem Experten durchgeführt werden müssen, können so schneller und ohne Expertenwissen durchgeführt werden. Zudem können sich die Systeme über die Zeit selbstständig verbessern und lernen somit, effizienter zu arbeiten.

Rommelfanger, ABB: State-of-the-Art-Picking-Lösungen müssen heutzutage komplexe Aufgaben für eine breite Palette von Artikeln lösen. Hierfür ist der Einsatz von KI bestens geeignet. Mithilfe seiner Fähigkeit zu lernen und sich an ständig wechselnde Lagerumgebungen anzupassen, identifiziert unser KI-gestützter Robotic Item Picker die Artikel und entscheidet, wie sie zu kommissionieren sind. Die Picking-Genauigkeit liegt dabei bei mehr als 99,5 Prozent. KI macht Produktions- und Logistikprozesse insgesamt effizienter, zuverlässiger, produktiver und vor allem flexibler. Dadurch etablieren sich selbstlernende Roboter zunehmend. Unser Konzept für die flexible Fertigung von morgen verbindet KI-gestützte Bildverarbeitung, mobile Roboter und modulare Zellen in einer einzigen Fabriksimulation.

Wie sieht der Trainingsaufwand für Picking-Lösungen mit KI aus? Welche Expertise benötigt der Anwender?

Koopmann, Fanuc: Hier muss man zwischen einem Bediener und einem Inbetriebnehmer unterscheiden. Für die reinen Bediener solcher Systeme ist der Schulungsaufwand gering, wohingegen ein Inbetriebnehmer trotz KI ein tieferes Verständnis für die Bildverarbeitung und natürlich auch für die zugehörige Robotik benötigt. Hier zahlen sich Systeme aus, die vollintegriert sind und damit viele Schritte beim Einrichten stark vereinfachen.

Der Hauptvorteil künstlicher Intelligenz liegt für uns in der Verkürzung der Inbetriebnahmezeiten, speziell für neue Produkte.

Robert Koopmann, Fanuc
Der Hauptvorteil künstlicher 
Intelligenz liegt für uns in der Verkürzung der Inbetriebnahmezeiten, speziell für neue Produkte.
Robert Koopmann, Fanuc
Robert Koopmann, FanucBild: Fanuc Deutschland GmbH

Schütte, Siemens: Die Simatic Robot Pick AI ist generisch vortrainiert, um Entscheidungen für robuste Greifposen an beliebigen, unbekannten Objekten zur Laufzeit zu treffen. Anwender können die Fähigkeit Out of the Box für ihre Robot-Picking-Applikationen nutzen. Das Produkt ist für Automatisierungsexperten im Feld gemacht und nicht für rare Experten. Durch seine hohe Benutzerfreundlichkeit wird keine tiefere KI- oder Machine-VisionExpertise vom Anwender benötigt. Lediglich erste Kenntnisse zur Anwendung von Robotern im Piece Picking und Wissen zur herstellerspezifischen Kalibrierung der 3D-Sensoren sind nützlich.

Rommelfanger, ABB: Der Robotic Item Picker arbeitet kontinuierlich ohne menschliche Aufsicht, wodurch die Kosten pro Pick reduziert und mehr Aufträge schnell ausgeliefert werden können. Er wird über eine einfach zu bedienende Anwendungssoftware gesteuert, die alle Teile des Systems nahtlos integriert und mit anderen Peripheriegeräten
interagiert, sodass Anwender problemlos weitere Komponenten und andere Funktionen hinzufügen können. ABB
bietet außerdem Services für das gesamte Produktpaket an, darunter Servicevereinbarungen, Online-Schulungen, vorbeugende Wartung und technischen Online-Support.

Shao, Mech-Mind Robotics: Unser Trainingsaufwand ist eigentlich sehr gering. Für Anwendungen, wie z.B. das Picken von Kartons, Säcken, Paketen und Einzelhandelsartikeln, bieten wir ein bereits sofort einsetzbares Modell. Allgemein benötigt der Anwender nur Kenntnisse über Roboter und die grundlegende Softwarenutzung. Für das Training der KI ist nur sehr wenig zusätzliches Fachwissen erforderlich, da es sich um einen einfach umzusetzenden Prozess in Einzelschritten handelt.

TeDo Verlag GmbH

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