Trendumfrage zum Thema Offenheit in der Robotik

Königsweg oder Risiko?

Für die aktuelle Trendumfrage hat ROBOTIK UND PRODUKTION vier Experten zum Thema Offenheit in der Robotik befragt. Dabei geht es um Chancen und Risiken eines offenen Ansatzes, um bereits bestehende Open-Source-Projekte und die Frage, wie Robotikunternehmen sich bereits in die Open-Source-Gemeinde einbringen. Es antworten Maik Rabe, Entwicklungsleitung der Business Unit Automation & Electrification Solutions bei Bosch Rexroth, Christian Quante, Mitarbeiter der Technical-Sales-Abteilung bei Kawasaki Robotics, Alexander Mühlens, Leiter des Geschäftsbereichs Automatisierungstechnik und Robotik bei Igus, und Manuel Schön, Product Management Software and Technology bei Pilz.
Wir setzen aktiv auf ein offenes System. Unser Linuxbasierter Automatisierungsbaukasten ist offen für Dritte. Damit entkoppeln wir die drei Komponenten, 
die in der Vergangenheit proprietär gebunden waren: 
Steuerungshardware, Betriebssystem und Anwendungen.
Maik Rabe, Bosch Rexroth
Wir setzen aktiv auf ein offenes System. Unser Linuxbasierter Automatisierungsbaukasten ist offen für Dritte. Damit entkoppeln wir die drei Komponenten, die in der Vergangenheit proprietär gebunden waren: Steuerungshardware, Betriebssystem und Anwendungen. Maik Rabe, Bosch RexrothBild: Bosch Rexroth AG

Bisher mussten Anwender von Robotern stets die Steuerungstechnik des Herstellers einsetzen, von dem auch die Kinematik stammte. Sehen Sie hier – dem Trend zu mehr Offenheit in der Automation folgend – bereits Veränderungen? Liegt zukünftig in Open Source der Königsweg für den Anwender, wenn es um mehr Flexibilität geht?

Manuel Schön, Pilz: Viele Hersteller von Robotern und Robotersteuerungen bieten Programmierschnittstellen innerhalb ihres Steuerungssystems an. So bieten sie Herstellern von 3D-Kameras oder Kraft/Momenten-Sensoren eine Möglichkeit, ihre intelligenten Programme an die zunehmende Komplexität von Roboteranwendungen anzupassen. Einen Schritt weiter geht hier in der Tat der Open-Source-Ansatz, in dem solche Algorithmen und Programmcodes frei herunterladbar sind und von einer Community stets weiter entwickelt werden.

Maik Rabe, Bosch Rexroth: Bei großen Robotikherstellern steht nach wie vor die Koppelung von Steuerungstechnik und Kinematik im Vordergrund, aber wir beobachten in der Tat einen Trend hin zu Open Source. Ich sehe z.B. verschiedene Aktivitäten, im Zuge derer sich Kinematikhersteller für Steuergeräteplattformen und Motion Software von Dritten öffnen. Die Koppelung von Steuerungshardware, Betriebssystem, Steuerungssoftware und Mechanik löst sich schrittweise voneinander und die Kompetenz in den jeweiligen Bereichen tritt in den Vordergrund.

Christian Quante, Kawasaki Robotics: Einen Trend zu Open Source bei namenhaften Herstellern von Industrieautomationsgeräten sehe ich nicht. Vielmehr beobachte ich einen Trend aus der anderen Richtung: Open-Source-Projekte, die von Einzelpersonen oder Startups ins Leben gerufen wurden, finden mehr und mehr Einzug in kleineren, abgeschlossenen Automatisierungen. Die großen, etablierten Hersteller setzen einerseits eher auf die Offenlegung von Schnittstellen, um eine bessere Zugänglichkeit zu ihren Steuerungsgeräten zu ermöglichen. Andererseits wird zunehmend auf fertige Softwareteile des Open-Source-Pools zurückgegriffen. Das sind sowohl Programme und Libraries als auch komplette Betriebssysteme, wie z.B. Embedded Linux.

Alexander Mühlens, Igus: Ja, vor allem Startups sind mit ROS, Unity oder Python aufgewachsen, aber auch DIY-Entwicklungen greifen auf Raspberry PI, Beagle Bone, Arduino oder andere Open-Source-Plattformen zurück. Wir bei Igus setzen schon immer auf den offenen Build&Buy-Ansatz. Der Kunde kauft sich entweder die Komponenten passend nach seinen Anforderungen einzeln oder als fertiges Komplettsystem.

Wir arbeiten an verschiedenen Schnittstellen zu 
unseren Robotersystemen, um unseren Kunden 
den Zugriff von außen zu ermöglichen. 
Das Kawasaki-Robotersystem basiert größtenteils auf Linux und nutzt somit sehr viel aus dem Bereich Open Source.
Christian Quante, Kawasaki Robotics
Wir arbeiten an verschiedenen Schnittstellen zu unseren Robotersystemen, um unseren Kunden den Zugriff von außen zu ermöglichen. Das Kawasaki-Robotersystem basiert größtenteils auf Linux und nutzt somit sehr viel aus dem Bereich Open Source. Christian Quante, Kawasaki RoboticsBild: Kawasaki Robotics GmbH

Welche relevanten offenen Ansätze bzw. Open-Source-Projekte gibt es für die industrielle Robotik? Welche Rolle spielt dabei Linux?

Mühlens, Igus: Einerseits haben wir z.B. Open Source ROS, Matlab Simulink, DaisyLab, Sample Programs für Arduino, Raspberry oder Amazon AWS im Programm. Auf der anderen Seite arbeiten wir aber auch mit Integrationen für Siemens, Beckhoff, B&R oder auch Vision-Sensorik, wie Intel Realsense oder IFM. Unsere Robotersoftware selbst basiert auf einem Linux-System und lässt sich daher auch flexibel in allen Welten einsetzen.

Quante, Kawasaki Robotics: Wir arbeiten seit Längerem an verschiedenen Schnittstellen zu unseren Robotersystemen, um unseren Kunden den Zugriff von außen zu ermöglichen. Die entsprechenden Programmierschnittstellen werden in Form von Libraries mit unterschiedlichen Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. Der Leistungsumfang reicht dabei vom einfachen Datenaustausch, über die Möglichkeit, auf einzelne Roboterbewegungen Einfluss zu nehmen, bis hin zur kompletten Steuerung des Roboters von einem übergeordneten Controller. Das Kawasaki-Robotersystem basiert größtenteils auf Linux und nutzt somit sehr viel aus dem Bereich Open Source.

Schön, Pilz: Der in der Robotik wohl bekannteste Ansatz ist das Robot Operating System ROS, ein Open-Source-Framework, um Software für Robotikanwendungen zu schreiben. Dieses Programmiergerüst besteht aus einer Sammlung von Funktionen, Treibern sowie einer Kommunikationsschicht. Programmierer erstellen in diesem Rahmen eigene Pakete. Der modulare Ansatz erlaubt es, unterschiedliche ROS-Pakete für eine Anwendung zu kombinieren und bietet dadurch hohe Flexibilität für die Gestaltung von Robotikanwendungen. Die Online-Community arbeitet zusammen an den ROS-Paketen, führt Reviews und Tests durch und unterstützt sich gegenseitig. Die Vorteile von ROS umfassen neben dem Open-Source-Charakter, die Verwendung von modernen Programmiersprachen, wie Python oder C++. Damit bietet sich der Einsatz von ROS für industrielle Applikationen an.

Rabe, Bosch Rexroth: Aktuell basieren vor allem kundenspezifische Anwendungen auf Open-Source-Bibliotheken. Open-Source-Frameworks bieten schon heute, insbesondere für spezialisierte Anwendungen, eine Vielzahl von Lösungen. Im Industrieumfeld wird zunehmend der Einsatz von echtzeitfähigen Linux-Derivaten als Basisbetriebssystem für Robotikanwendungen gewählt – auch wenn die Anwendungsschichten häufig noch proprietär sind.

Wir bei Igus setzen schon immer auf den offenen Build&Buy-Ansatz. Unsere Robotersoftware selbst basiert auf einem Linux-System und lässt sich daher auch flexibel in allen Welten einsetzen.
Alexander Mühlens, Igus
Wir bei Igus setzen schon immer auf den offenen Build&Buy-Ansatz. Unsere Robotersoftware selbst basiert auf einem Linux-System und lässt sich daher auch flexibel in allen Welten einsetzen. Alexander Mühlens, Igus Bild: Igus GmbH

Bieten Sie im Rahmen Ihres Portfolio bereits offene Ansätze bzw. Lösungen an? Inwiefern bringen Sie sich dabei in die Open-Source-Gemeinde ein?

Quante, Kawasaki Robotics:
Unsere offenen Ansätze beschränken sich weitestgehend auf die Bereitstellung von frei zugänglichen Schnittstellen und Werkzeugen, um diese zu bedienen. So besteht z.B. die Möglichkeit, eigene Software auf dem Controller unter Linux zu installieren und über die Schnittstellen mit dem Roboter zu kommunizieren. Die Ausgaben des so erstellten Programms können auf dem Handbediengerät als Bildschirm erfolgen. Offizielle Open-Source-Projekte von Kawasaki Robotics kenne ich nicht, jedoch weiß ich von einigen Projekten, die von Kawasaki-Mitarbeitern ins Leben gerufen wurden. Dabei geht es weitestgehend um die volle Ausschöpfung des Potentials der offenen Schnittstellen.

Rabe, Bosch Rexroth: Wir setzen aktiv auf ein offenes System. Der Linux-basierte Automatisierungsbaukasten ctrlX Automation ist offen für Dritte. Über den ctrlX Store können Unternehmen auf Basis der offenen Plattform Applikationen und Lösungen anbieten und vertreiben. Zudem betreiben wir ein offenes Forum, in dem sich die Community über neue Ideen und Lösungen austauschen und vernetzen kann. Wir gehen jetzt den nächsten konsequenten Schritt und bieten das Betriebssystem ctrlX OS für Hardware weiterer Hersteller mit spezialisierten Anforderungen an. Damit entkoppeln wir die drei Komponenten, die in der Vergangenheit proprietär gebunden waren: Steuerungshardware, Betriebssystem und Anwendungen.

Schön, Pilz: Neben einem industriellen Pfadplaner für Robotikanwendungen stellt Pilz ROS-Pakete für unseren Laserscanner PSenScan bereit. Diese ermöglichen es z.B., die Abstandsdaten und Schutzfelder zur Navigation eines AMR auszulesen. Viele Hersteller von Sensoren oder Robotersteuerungen lassen ihre ROS-Pakete extern entwickeln. Im Fall von Pilz stammen die Pakete dagegen direkt von uns. Pilz unterstützt zudem aktiv die ROS-Community, nicht nur durch Programmierung von Paketen, sondern mit Pull-Requests und der Dokumentation von zentralem Code im ROS-Wiki. Seinen Kunden bietet Pilz Produktsupport für die eigenen ROS-Pakete.

Mühlens, Igus: Für alle unsere Roboter ist ROS interessant. Es gibt sogar ganze Produkte als reine Open-Source-Variante wie z.B. unser Lowcost-Cobot Rebel. Diesen bieten wir als Plug&Play-Version oder eben als Open-Source-Variante ohne Steuerung an.

Welche negativen Auswirkungen gehen mit dem Trend zu mehr Offenheit einher? Welche Herausforderungen sind noch zu lösen?

Schön, Pilz:
Open Source birgt natürlich auch Herausforderungen: Grundsätzlich kommen ROS-Pakete innerhalb der Community von unterschiedlichen Autoren. Deshalb reicht die Qualität der Pakete von undokumentierten Bausteinen bis zu professionellen und qualitativ hochwertigen Projekten. Ein hoher Qualitätsstandard der eigenen ROS-Module ist Pilz wichtig, deshalb wird die Software nach den industriellen Qualitätskriterien und Anforderungen des ROS Industrial Consortiums entwickelt und getestet. Weitere Herausforderungen sehen wir mit Blick auf die Themen Security und Intellectual Property.

Quante, Kawasaki Robotics: Eine Öffnung der Kernquellen des Robotersystems würde zu einer Preisgabe des Knowhows führen, das über viele Jahre in die Entwicklung geflossen ist. Es besteht die Gefahr, dass Teile des Knowhows und des Quellcodes in Wettbewerberprodukte einfließen und die Wettbewerber somit Kosten einsparen können. Auch die Offenlegung von Schnittstellen, gerade wenn diese Schnittstellen vereinheitlicht werden, kann Gefahren in sich bergen. So kann die starke Kundenbindung gelockert werden, da jeder Roboter gleich programmiert werden kann und der Kunde so leichter von einem Roboterhersteller zum nächsten wechseln könnte.

„Viele Hersteller von Sensoren oder Robotersteuerungen lassen ihre ROS-Pakete extern entwickeln. Im Fall von Pilz stammen die Pakete dagegen direkt von uns. Wir unterstützen zudem aktiv die ROS-Community. Manuel Schön, Pilz – Bild: Pilz GmbH & Co. KG

Mühlens, Igus: Aus unserer Sicht hat der Trend zu mehr Offenheit in der Robotik keine negativen Auswirkungen. Wir können darüber Fahrt aufnehmen und schneller Produkte integrieren und auf die jeweiligen Bedürfnisse eingehen. Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Beschleuniger, den die Robotik in den verschiedenen Bereichen braucht. Wir sehen gerade im Bereich der Bilderkennung in Kombination mit Robotik sehr große Fortschritte. Eine Herausforderung ist: Es gibt zu wenig Programmierer auf dem Markt. Aus meiner Sicht wird es ein wichtiger Baustein sein, auch Webprogrammierer mit in die Welt der Robotik einbinden zu können. Zudem sind Prozesssicherheit und Safety-Themen noch nicht 100 Prozent in der Open-Source-Welt abbildbar.

Rabe, Bosch Rexroth: Wichtig ist, die systemische Integration hinsichtlich Funktion und Qualität sicherzustellen. Die Vielzahl kompatibler Hardware- und Softwarekombinationen ermöglicht leistungsfähige, aber auch zunehmend komplexe Systeme. Damit kommen Systemintegration und -test eine hohe Bedeutung zu. Das lässt sich nur durch automatisierte Tests virtualisierter Komponenten realisieren. Die Verantwortung des Gesamtsystems, insbesondere über die Lebensdauer der Komponenten, wird häufig diskutiert. Reine Open-Source-Projekte basieren auf Freiwilligkeit der Kontributionen. Eine Herausforderung bleiben Lizensierungs-, Haftungs-, und Supportfragen für neue Geschäftsmodelle. Klassische Geschäftsmodelle skalieren über die Hardware gebundenen Produkte. Software skaliert z.B. über Rechenleistung eines Hardwaretargets. Hier werden die Geschäftsmodelle vielfältiger und individueller als in der Vergangenheit.

TeDo Verlag GmbH

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