Artikelserie: Die Robotikbranche in Dänemark (Teil 2/2)

Artikelserie: Die Robotikbranche in Dänemark (Teil 2/2)

MRK-Baukasten, Serviceroboter und mehr

In Sachen Robotik hat sich Dänemark mittlerweile international einen Namen gemacht, den man nicht nur auf den Erfolg von Universal Robots reduzieren darf. Ganz im Gegenteil: Rund und um die Stadt Odense hat sich in den letzten Jahren ein Vorzeige-Cluster entwickelt, wie es kein zweites gibt. Hier erarbeitet eine Vielzahl von Startups und bereits etablierten Unternehmen gemeinsam mit Forschungsinstituten die Zukunft der Robotik – spannende Resultate sind z.B. ein Baukasten für MRK-Lösungen oder neuartige Serviceroboter. Und auch auf dem Gebiet der klassischen Anwendungen ist das dänische Robotikniveau sehr hoch.

Das Einsatzspektrum für professionelle Serviceroboter ist unglaublich breit: von Krankenhäusern und Seniorenheimen über Veranstaltungen und Hotels bis hin zur Baubranche und Landwirtschaft. (Bild: Blue Ocean Robotics)

Das Einsatzspektrum für professionelle Serviceroboter ist unglaublich breit: von Krankenhäusern und Seniorenheimen über Veranstaltungen und Hotels bis hin zur Baubranche und Landwirtschaft. (Bild: Blue Ocean Robotics)

Zu den großen erfolgreichen Namen aus Odense soll neben Universal Robots und MIR bald auch OnRobot zählen – wenn es nach Enrico Krog Iversen geht. Die UR-Führungskraft der ersten Stunde hatte sich nach der Übernahme des Roboterherstellers durch den US-Konzern Teradyne aufgemacht, künftig die Geschicke von OnRobot als MRK-Ausrüster zu leiten. Von vier auf 250 Millionen Euro Umsatz in fünf Jahren: So lauten die hochgesteckten Ziele, die das Unternehmen mit seinem MRK-Angebot erreichen will.

In der Wasserzählerfertigung bei Kamstrup übernehmen Roboter bei großen Losgrößen sämtliche Montageschritte. (Bild: Kamstrup)

In der Wasserzählerfertigung bei Kamstrup übernehmen Roboter bei großen Losgrößen sämtliche Montageschritte. (Bild: Kamstrup)

Supermarkt für Cobot-Equipment

Damit ist der Anspruch von OnRobot kein geringerer, als sich zu einem global führenden Unternehmen im Bereich MRK zu entwickeln. „Aber nicht mit den Robotern selbst, sondern als Supermarkt für Cobot-Equipment“, erklärt Krog Iversen. Ziel ist ein umfangreicher Baukasten an aufeinander abgestimmten Komponenten – von Greifern oder Force-Torque-Sensoren über Kommunikations-Gateways und Software Tools bis hin zu Vision-Lösungen. „Wir werden das komplette Spektrum aus einer Hand liefern“, blickt der Geschäftsführer voraus. Aktuell fokussiert sich das Unternehmen noch auf acht Robotermarken – UR, Techman, Doosan, Yaskawa, Nachi, Kuka, Fanuc und Kawasaki – aber schon im kommenden Sommer will es 25 Roboterhersteller abdecken, mit 40 bis 50 verschiedenen Produkten. Das Fundament dafür bilden die vier Entwicklungsstandorte des Unternehmens: zwei in Dänemark, einer in Ungarn und einer in den USA. Dort ist ein Großteil der aktuell über 160 Mitarbeiter tätig. Neben der selbst aufgebauten Kompetenz hat sich OnRobot durch die Akquise der Unternehmen OptoForce, Perception, Purple Robotics und Blueworkforce viel zusätzliches Knowhow ins Haus geholt.

Enrico Krog Iversen, OnRobot Nur wenn sich das Zubehör einer MRK-Anwendung unkompliziert integrieren lässt, kann sich die Technologie endgültig durchsetzen. (Bild: TeDo Verlag GmbH)

„Nur wenn sich das Zubehör einer MRK-Anwendung unkompliziert integrieren lässt, kann sich die Technologie endgültig durchsetzen.“ Enrico Krog Iversen, OnRobot (Bild: TeDo Verlag GmbH)

Wegbereiter für die MRK-Applikation

„Wir positionieren uns als Wegbereiter der Reise vom kollaborierenden Roboter zur kollaborativen Applikation“, bringt Kroog Iversen das Selbstverständnis auf den Punkt. Entsprechend seien die eigenen Ziele zwar ambitioniert aber durchaus realistisch: „Die Zeiten haben sich seit dem Start von Universal Robots deutlich geändert.“ Damals habe man die Bühne der Industrie ja nicht nur mit einem neuen Produkt, sondern auch mit einem komplett anderen Robotikansatz betreten. „Heute sind Cobots in der Branche nicht mehr außergewöhnlich“, so der OnRobot-CEO weiter. Das passende End-of-Arm-Tooling fehle in vielen Fällen aber noch. „An dieser Stelle kommen wir ins Spiel und bieten dem Markt mit unseren Produkten einen bunten Strauß neuer Möglichkeiten.“ Auf den Wettbewerb angesprochen betont Krog Iversen: „Klassische Greiferhersteller, unter anderem die aus Deutschland, bieten dem Markt sicherlich gute und teilweise auch schon MRK-taugliche Produkte. Aber es bleibt immer nur bei Greifern. Den One-Stop-Shop-Gedanken verkörpert im MRK-Bereich bislang niemand so wie OnRobot.“ Dabei werde gerade dieser zum maßgeblichen Erfolgsfaktor für Cobots. „Nur wenn sich auch das Zubehör in einer MRK-Anwendung unkompliziert und schnell integrieren lässt, kann sich die Technologie endgültig durchsetzen.“

Claus Risager, Blue Ocean Robotics Wenn der Serviceroboter erst einmal da ist, wird er eigentlich immer gleich von den Menschen angenommen. (Bild: Blue Ocean Robotics)

„Wenn der Serviceroboter
erst einmal da ist, wird er
eigentlich immer gleich von den Menschen angenommen.“ Claus Risager, Blue Ocean Robotics (Bild: Blue Ocean Robotics)

Mehr Akzeptanz, mehr Sicherheit

Das gelte auch und vor allem für die Sicherheitsabnahme von MRK-Applikationen, die sich in den meisten Fällen nach wie vor sehr aufwändig gestaltet. „Man wird um eine Zertifizierung der jeweiligen Applikation bis auf weiteres nicht herumkommen“, so Krog Iversen. „Aber man kann sie natürlich gut vorbereiten.“ Deswegen sollen die Bestandteile des OnRobot-Baukastens nicht nur einfach in Betrieb genommen werden, sondern sind teilweise schon entsprechend zertifiziert. „Letztendlich machen wir die Applikation damit so attraktiv, dass unsere Komponenten auch in vielen klassischen eingehausten Roboteranwendungen zum Einsatz kommen werden“, ist sich der Geschäftsführer sicher.

 (Bild: OnRobot)

(Bild: OnRobot)

Wasserzähler in großen Losgrößen

Eine sehr anspruchsvolle mit klassischen Robotern realisierte Produktionslinie findet sich beim Unternehmen Kamstrup, das als Anbieter von Wasser-, Wärme- und Stromzählern mehrere Werke im dänischen Skanderborg unterhält. Die Fertigung für Wasseruhren wurde vor zwei Jahren komplett neu aufgebaut, auf Basis eines durchgängigen Automatisierungskonzepts. So werden alle eingehenden Bauteile schon im Wareneingang digital erfasst und während des gesamten Produktionsprozesses getrackt. Für große Zähler-Lose hat Kamstrup in der neuen Fertigung eine beeindruckende Roboterlinie realisiert – mit über 30 Kinematiken unterschiedlicher Größe, hauptsächlich aus dem Hause Kawasaki. Sie übernehmen alle einzelnen Schritte bei der Montage der Wasserzähler. Auch die Programmierung, der Endtest und das Versiegeln geschehen automatisch. Einzig die Stationen zur Kalibrierung, die alle Geräte ausnahmslos durchlaufen müssen, werden noch manuell bestückt. Aber auch hier will das Unternehmen demnächst auf automatisierte Prozesse umstellen.

 (Bild: OnRobot)

(Bild: OnRobot)

Cobot- und FTS-Lösungen im Blick

Andere Bereiche der Fertigung, in denen kleinere Lose montiert werden, setzen aktuell noch auf viel Handarbeit. Hier führt Kamstrup aber aktuell bereits Planungen und Tests für den Einsatz von MRK-fähigen Robotern durch. Auch autonome Transportfahrzeuge sah das Grundkonzept der Zählerproduktion von Anfang an vor. Wie in anderen Werken von Kamstrup bereits geschehen, sollen deshalb demnächst mobile Roboter von MIR zur Versorgung der einzelnen Stationen eingeführt werden. Mittelfristig hält also auch in diesem Fall moderne kollaborative und mobile Robotik Einzug.

 (Bild: OnRobot)

(Bild: OnRobot)

Servicerobotik treibt Blüten

Die Aufbruchsstimmung in Dänemark, speziell in der Region um Odense, wirkt sich auch auf die Servicerobotik aus – auch wenn dieser Markt noch etwas zögerlicher wächst. „In dieser Branche sind wir mit über 100 Mitarbeitern der größte dänische Player“, sagt Claus Risager, CEO von Blue Ocean Robotics. „Aber viele junge Unternehmen starten aktuell mit spannenden und vielversprechenden Ideen durch.“ Konkurrenz zu den industriell ausgerichteten Anbietern gebe es keine. Im Gegenteil: Die unterschiedlichen Ausprägungen der Roboteranbieter befruchteten die Innovationsleistung gegenseitig. Risager weiß wovon er spricht, denn er ist seit den Anfängen der Robotik in Odense dabei. „Anfangs gab es in diesem Themenfeld nur zwei Arbeitgeber: Eine Werft und die Universität. Ich habe für beide gearbeitet – stets im engen Austausch mit der anderen Seite.“ Auf diese Weise seien in Odense viele Grundlagen für das Roboterschweißen im Schiffbau entwickelt worden. Nach einigen Jahren wechselte Risager zum Danish Technological Institute (DTI) und baute dort das Geschäftsfeld Robotik auf. Die Ausrichtung des DTI liegt ähnlich wie bei den Fraunhofer-Instituten darauf, Forschungsergebnisse schneller in die Anwendung zu bekommen – nicht nur in Bezug auf die Industrie, sondern auch in Branchen wie Healthcare, Hospitality, in der Baubranche oder der Landwirtschaft.

 (Bild: OnRobot)

(Bild: OnRobot)

Marktreife Lösungen für diverse Branchen

Während sich einige wissenschaftliche DTI-Mitarbeiter mit Roboterlösungen für das Fertigungsumfeld selbstständig machten – die bekanntesten sind wohl die Gründer von Universal Robots – zog es Risager in Richtung der professionellen Servicerobotik. Also hin zu Anwendungen abseits von Fertigungsindustrie und Consumer-Umfeld. Und so gründete er 2013 die Firma Blue Ocean Robotics, die heute durchaus schon Erfolge vorweisen kann. Mit den Roboterserien UVD und Beam ist das Unternehmen heute schon in über 70 Ländern vertreten – in Krankenhäusern, Veranstaltungszentren oder Hotels. Mehr als 1.000 Roboter werden mittlerweile pro Jahr verkauft. „Es gibt etwa 180.000 große Hotels in der Welt. Bislang sind dort aber nur wenige Serviceroboter zu finden“, verdeutlicht Risager das große Potenzial für diese Lösungen. Der Markt für professionelle Servicerobotik werde in Zukunft vermutich größer, als der von Industrierobotern. „Noch führen die klassischen Kinematiken beim jährlichen Verkauf im Verhältnis fünf zu eins. Aber man darf nicht übersehen: Der Weltmarkt für Servicerobotik wächst jährlich um 26 Prozent.“

 (Bild: OnRobot)

(Bild: OnRobot)

Neues Jahr, neue Anwendungen

Im Laufe des ersten Quartals 2020 will das Unternehmen deshalb einen neuen Roboter für Landwirtschaft und Co. auf den Markt bringen. Auch eine Kinematik, die das Klinikpersonal beim Patienten-Handling unterstützt, wird in Kürze marktreif. Insgesamt zeigen die Wachstumspläne von Blue Ocean Robotics – wie bei OnRobot auch – unglaublich steil nach oben: „Wir planen ein Umsatzwachstum von rund 1.000 Prozent über die nächsten drei bis vier Jahre“, lässt Risager durchblicken. Doch stehen diesem Bemühen nicht die vielfach genannten Berührungsängste von Menschen mit Robotern im Weg? „Nein“, ist Risager sicher. „Zum einen haben wir und andere Anbieter in den vergangenen Jahren viel Aufklärungsarbeit geleistet. Zum anderen verläuft die tatsächliche Integration von Servicerobotern in neue Umgebungen meist unkompliziert.“ Vorbehalte gebe es nur im Vorfeld, genauso wie Befürchtungen hinsichtlich des eigenen Arbeitsplatzes. „Wenn der Roboter erst einmal da ist, wird er eigentlich immer gleich von den Menschen angenommen – vom Hotel- bzw. Klinikpersonal genauso wie von den Gästen und Patienten“, sagt Risager. „Zudem profitieren die Unternehmen, die Serviceroboter einsetzen, statistisch gesehen von weniger Fluktuation bei den Mitarbeitern. Die Robotik eröffnet hier also eine echte Win/Win/Win-Situation.“ Ein Dreiklang, der vermutlich auch über die Grenzen Dänemarks hinaus zunehmend Aufmerksamkeit erzeugen und Beachtung finden wird. (mby)

TeDo Verlag GmbH
www.robotik-produktion.de

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