Software für die intelligente roboterbasierte Bauteilvereinzelung

Software für die intelligente roboterbasierte Bauteilvereinzelung

Der wirtschaftliche Griff in die Kiste

Flexibel mit anwendungsspezifischer Hardware nutzbar, zuverlässig und über eine grafische Bedienoberfläche einfach einzurichten: Mit der passenden Vision-Software nutzen Unternehmen die Vorteile eines roboterbasierten Griff-in-die-Kiste-Systems aus. Sie sorgt zudem mit einer Benutzeroberfläche zum Einrichten neuer Bauteile für die einfache Integration des Systems in die Anlagen.

Die Software bp3 des Fraunhofer IPA bietet anwendungsspezifische Lösungen für einen wirtschaftlichen Griff in die Kiste. (Bild: Fraunhofer IPA/Foto: Rainer Bez)

Selbst in modernen Fertigungen ist es heute üblich, Bauteile in Kisten oder Gitterboxen ungeordnet zu transportieren und zu lagern, da somit auf ein aufwendiges Abstapeln verzichtet werden kann und keine speziellen Ladungsträger vorgehalten werden müssen. Eine anschließende automatisierte Entnahme der Bauteile aus der Kiste oder der Gitterbox ist dabei jedoch deutlich komplexer, sodass dieser Prozess noch vorwiegend manuell durchgeführt wird. Dies wiederum ist kostenintensiv und stellt für die Mitarbeiter eine körperlich belastende Arbeit dar.

Algorithmen zur schnellen Objekterkennung und -lokalisierung

Die Vision-Software bp3 des Fraunhofer IPA ermöglicht es auch bei hohen Prozessanforderungen, den Griff in die Kiste von einem Robotersystem ausführen zu lassen, sodass Unternehmen die Möglichkeit haben, eine wirtschaftliche und flexible Anwendung zu realisieren. Ein typischer Ablauf mit der eingesetzten Software beginnt mit der Erfassung des Ladungsträgers mit den chaotisch gelagerten Bauteilen durch 3D-Sensoren oder andere Messverfahren, wie Laufzeitmessung, Lasertriangulation oder Stereovision. In der von den Sensoren erzeugten 3D-Punktewolke lokalisiert die Vision-Software auf Basis des einmal eingelernten CAD-Modells Objekte und bestimmt ihre Lage. Hierfür wurden eigene effiziente Algorithmen entwickelt, die für nahezu beliebige Bauteilformen nutzbar sind, darunter z.B. Guss- und Schmiedeteile, Blech- oder Kunststoffteile. Die Berechnungen zur Lokalisierung sind schnell: Bei komplexen Bauteilen dauern sie ca. 1-2s, bei einfacheren Geometrien noch kürzer. Neben den Bauteilen erkennt die Software auch den Ladungsträger. Das ist insofern von Vorteil, als dieser oft manuell positioniert wird und entsprechend nicht immer exakt an gleicher Stelle steht.

Mithilfe einer 3D-Punktewolke und einmal erlernten CAD-Daten erkennt die Vision-Software die zu greifenden Bauteile. (Bild: Fraunhofer IPA)

Sichere Bauteilentnahme

Um das Bauteil prozesssicher zu entnehmen, verfügt die Software über eine kollisionsfreie Greifpunktbestimmung und Bahnplanung. Um einen Griff durchzuführen, muss ein Roboter nur noch den generierten Entnahmepfad abfahren. Dadurch lassen sich Bauteile situationsabhängig und auch in schwierigen Positionen, besonders häufig in der Nähe des Kistenbodens, sicher entnehmen. Zusätzliche Bewegungsachsen im Greifer verbessern die Zugänglichkeit dabei weiter und werden von der Software ebenfalls berücksichtigt. Um Kollisionen zu vermeiden, simuliert diese zunächst den Entnahmevorgang. Die Ablageposition lässt sich ebenfalls in die Berechnungen einbinden: So ist festlegbar, dass ein Bauteil unabhängig vom Greifpunkt immer in derselben Orientierung abzulegen ist. Die berechnete Roboterbahn wird herstellerunabhängig über TCP/IP an die Robotersteuerung übertragen, sodass die Software für Roboter aller Hersteller nutzbar ist. Sie unterstützt sogar zweiarmige Roboter, die beispielsweise dabei helfen, die Taktzeiten zu reduzieren und die Flexibilität des Griffs in die Kiste weiter zu erhöhen. Über die grafische Bedienoberfläche ist es zudem möglich, Greifpunkte bereits vorab manuell zu bestimmen.

Hohe Benutzerfreundlichkeit

Die grafische Benutzeroberfläche ermöglicht des Weiteren die einfache Bedienbarkeit der Software. Bediener lernen mit nur wenigen Mausklicks selbst Bauteile, verschiedene Greifer und auch komplexe Greifpunkte pro Bauteil bzw. pro Greifer ein oder stellen Greifergeometrien mit beliebig vielen Zusatzachsen zusammen. Das erhöht die Flexibilität des Systems, denn das Robotersystem ist in der Lage, am Einfuhr- und Ausfuhrband unterschiedliche Aufgaben auszuführen oder verschiedene Bauteile zu handhaben. Greifpunkte lassen sich bequem durch Ziehen in der 3D-Umgebung oder per Eingabemaske anpassen und neue Werkstückträger in kurzer Zeit einlernen. Die schnellen Konfigurationsmöglichkeiten durch den Bediener erhöhen die Wandlungsfähigkeit der Anlage, sodass es noch besser möglich ist, auf sinkende Losgrößen und steigende Produktvielfalt zu reagieren.

Die grafische Bedienoberfläche macht die Vision-Software auch für Endanwender einfach konfigurierbar. (Bild: Fraunhofer IPA)

Die Software in der Praxis

Die Software ist bereits in über zehn Produktionsanlagen in Deutschland, den USA und Österreich überwiegend im Dreischichtbetrieb im Einsatz. Die Rahmenbedingungen waren dabei jeweils sehr unterschiedlich. So kamen beispielsweise verschiedene Sensoren, Roboter, Greifer oder Zellsteuerungen zum Einsatz. In allen Anwendungen erreicht die Software eine gute Verfügbarkeit. Anlagen und Produkte werden kompakter, flexibler und leistungsfähiger. Die Software ist zudem Cloud-fähig. Robotersysteme profitieren so von zentraler Rechenleistung und Datenhaltung. Der Roboter agiert dann als lean client, also als schlankes System. Die aufwendigen Berechnungen zur Objekterkennung und Entnahmeplanung werden auf einem zentralen Server durchgeführt. Der hochperformante Server bearbeitet Anfragen verschiedener Roboter in kurzer Zeit. Das senkt die Taktzeit und die Anlage ist besser wart- und verfügbar. Komponenten wie Sensoren, Greifer oder Roboter sind leichter austauschbar, wodurch die gesamte Produktion wandlungsfähiger wird. Über die Cloud lassen sich zudem neue Teile oder Ladungsträger schneller in bestehende Anlagen integrieren. Mittels eines Dienstekonzepts ähnlich einem App Store lassen sich in Zukunft auch neue Funktionen, die in der Cloud bereitstehen, schneller in die Anlage integrieren, z.B. eine verbesserte Objekterkennung oder das Ablegen von Bauteilen in ein Härtegestell. Der Endanwender muss ggf. nur noch bestimmte systemspezifische Parameter ergänzen, was den Integrationsaufwand reduziert. Unternehmen erwerben die Software direkt als Lizenz. Darüber hinaus bieten die IPA-Mitarbeiter als unabhängige technische Berater für die Realisierung von Griff-in-die-Kiste-Lösungen mit Robotern ihr Fachwissen an. Die Unterstützung reicht von der Analyse des zu greifenden Objektspektrums über kurzfristige Voruntersuchungen und Machbarkeitsstudien spezifischer Bauteile, die Entwicklung von Lösungskonzepten und Realisierungsbegleitung bis hin zur Schulung von Entwicklern, Inbetriebnehmern und Bedienern.

Fraunhofer-Institut f. Arbeitswirtschaft
www.ipa.fraunhofer.de

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