Interview mit Sunil Raibagi, Vice President Strategy and Business Development

Interview mit Sunil Raibagi, Vice President Strategy and Business Development

„Wir haben unsere
Hausaufgaben gemacht“

Sunil Raibagi, der neue Vice President Strategy and Business Development bei der Zimmer Group, soll deren System- und Projektgeschäft mit frischen Impulsen beleben. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Geschäftsbereich Systemtechnik. Der hat nach den Worten von Vertriebs- und Entwicklungschef Achim Gauß Potenzial, „in den verschiedensten Bereichen zu wachsen“.

 (Bild: Zimmer Group)

(Bild: Zimmer Group)

ROBOTIK UND PRODUKTION: Herr Raibagi, was darf man sich unter der Bezeichnung System Technology vorstellen? Ist das ein Geschäftsbereich oder ein Produktbereich oder gar ein Entwicklungszentrum für Handhabungssysteme?

Sunil Raibagi: Die Systemtechnik ist unser Kompetenzzentrum. Seit 2013 vereint die Marke Zimmer Group als Knowhow-Factory Technologien und innovative Lösungen aus Handhabungs-, Dämpfungs-, Linear-, Verfahrens-, Maschinen- und Systemtechnik unter einem Dach. Der Geschäftsbereich Systemtechnik bietet dabei seinen Kunden Komplettlösungen im End-of-arm-Tooling-Bereich und in der Prozessautomatisierung sowie agile Zellen für deren Produktionsanlagen. Dabei sind wir vor allem in der Automobil-, Kunststoff-, Holz-, Elektronik- und Logistikindustrie tätig und unterstützen sowohl Endkunden als auch Systemintegratoren bei der Realisierung ihrer Produktionsanforderungen mit innovativen und zuverlässigen Automatisierungslösungen. Wir besprechen mit den jeweiligen Endkunden die zu lösenden Aufgaben und begleiten sie dabei von der Konzeptphase bis hin zur Realisierung und darüber hinaus. Mit unserer globalen Präsenz bedienen wir unsere Kunden beim Aufbau und Service flexibler Produktionslinien in der ganzen Welt.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Wie sieht die Umsatzverteilung innerhalb der von Ihnen genannten Branchen aus?

Raibagi: Wir generieren zwei Drittel unseres Umsatzes in der Automobilindustrie und ein Drittel in den Bereichen Konsumgüter und Logistik, wobei uns der Trend zu Elektrofahrzeugen im Automobilbereich zusätzliche Marktanteile beschert. Alle deutschen und europäischen Automobilhersteller oder deren Zulieferer und Integratoren verwenden Greifsysteme von Zimmer, um Antriebsstrang- und Getriebeteile sicher zu handhaben. Aufgrund unserer Arbeit in den letzten zwei Jahrzehnten in diesem Bereich sind viele dieser ehemaligen Spezialgreifer inzwischen zu standardisierten End-of-arm-Tooling-Lösungen entwickelt worden. Dies gewährleistet eine hohe Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit und hält dabei die Investitionskosten überschaubar. Im Consumer-Bereich haben wir eine intelligente Lösung für das Kommissionieren, Verpacken und Palettieren auf den Markt gebracht. Seit Kurzem liefern wir auch Komplettpakete im Bereich Prozessautomatisierung sowie Roboterzellen für bestimmte Branchen, die ein gutes Wachstum zeigen.

ROBOTIK UND PRODUKTION: In welchen Industriezweigen sehen Sie Zuwachsmöglichkeiten für die System Technology?

Raibagi: Wir haben zwei Quellen für weiteres Wachstum definiert. Eine davon ist Mobilität. Hier decken wir vom Pkw über Nutzfahrzeuge, Bahn, Luft- und Raumfahrt bis hin zu Electro Vehicles alles ab. Diese Branche verändert sich auch, sodass wir mit ihr in den Bereichen Kunststoffe, Elektronik und Handhabung neuer Materialien wie Verbundwerkstoffe und so weiter zusammenwachsen wollen. Wir sehen Veränderungen bei den Rohstoffen auch im Bereich Handling und Montage: Automated Guided Vehicles statt Förderbänder, mehr Roboter für die Kollaboration mit Menschen, Vision und digitales Auge. Diese erfordern unterschiedliche Technologieplattformen und Entwicklungen. Wir bereiten uns darauf vor und sehen dort große Chancen. In der Produktionstechnik ist die Überwachung bzw. das Monitoring bereits digital. ERP-MFC-Produktionskontrollen funktionieren schon in den meisten Fabriken. Remote I/O und das Internet der Dinge sind Normalität. Wir wachsen hier, weil wir dies bereits in unseren Produkten umgesetzt haben. Die Intralogistik, speziell das Greifen, Verpacken, Palettieren und sogar die Lkw-Verladung, wird mehr und mehr automatisiert. Dieser Bereich ist recht vielfältig und daher für uns technologisch sehr interessant. Wir entwickeln hier Produkte und möchten dafür ein solides Standbein schaffen. In letzter Zeit haben wir zahlreiche spezielle flexible Roboterzellen für die Holzbearbeitung und den Transport für die Mischproduktion gebaut. Diese Funktionspakete werden in Kürze in den Werken der Möbelfertigung populär werden.

„Wir sind bei der Umsetzung von Vision und Intelligenz in unseren Greifsystemen sehr erfolgreich. “ Sunil Raibagi, Zimmer Group

ROBOTIK UND PRODUKTION: Wenn wir noch mal den großen Kundenkreis der System Technology betrachten – wie haben sich in den letzten zehn, zwölf Jahren die Ansprüche Ihrer Kunden an Greifsysteme gewandelt?

Raibagi: Es besteht weiterhin Bedarf an agilen, adaptiven und kostengünstigen Systemen. Wir sind bei der Umsetzung von Vision und Intelligenz in unseren Greifsystemen sehr erfolgreich. Früher waren unsere Systeme eher mechanisch und pneumatisch. Mittlerweile werden immer mehr servogestützte Systeme eingesetzt. Vision-Kameras und IoT sind Teil von Systemen, die mehr Sicherheit bieten, und diese können auch in der Mischproduktion eingesetzt werden. Wir können On-Fly-Konfigurationen und -Informationen ändern, um verschiedene Teile des Systems zu erfassen. Als führender Lieferant von End-of-Arm-Tools entwickeln und produzieren wir Modulsysteme. Wir haben auch Systemkonfiguratoren und Tools entwickelt, die unsere Kunden bei der Validierung der Anwendungen unterstützen. Anlagenbauer wollen High Speed, High Availability, Predictive Maintenance und prozesssichere Handling-Lösungen für ihre flexiblen Produktionen. Die Anbindung an MES und ERP ist eine weitere Anforderung, die nun an die jeweiligen Anwendungen angepasst wird. Unsere Aufgabe als Entwickler und Hersteller von Greifersystemen ist es, diese Anforderung bestmöglich zu erfüllen. Modularisierung, Miniaturisierung, Leichtbau, Fernwartung und Sensibilität sind nur einige Stichworte dafür.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Und welches waren die bislang größten Erfolge in der Handhabungstechnik?

Raibagi: Mit der steigenden Leistungsfähigkeit der Computer rückte die künstliche Intelligenz in den Vordergrund, die Computer- und Steuerungstechnik entwickelte sich weiter. Aufgrund neuer und präziser Sensortechnologie und Bildverarbeitungssystemen hat uns diese Entwicklung dazu veranlasst, diese Technik in unsere End-of-Arm-Tool-Lösungen einzubetten. Was früher in der Handhabungsautomatisierung als schwierig oder unmöglich galt, ist jetzt möglich: Anwendungen wie der Griff in die Kiste, Tracking oder das Handling flexibler Teile sind prozesssicher automatisiert. Die Automatisierung hat sich auch in Branchen wie der Lebensmittel-, Pharma- und Medizinindustrie etabliert, in denen die Handarbeit aufgrund sehr hoher Hygiene- und Sicherheitsstandards die hochwertige Verarbeitung weitgehend dominiert hat. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, dass das Frontend, also das Greifsystem, zum entscheidenden Element für den Erfolg solcher Anwendungen geworden ist. Es kann dabei eine Vielzahl an Daten auswerten, was für den gesamten Handhabungsprozess, einschließlich des Vorher/Nachher-Verfahrens, von immenser Bedeutung ist. Der Greifer oder das Greifsystem ist Teil der digitalen Kette eines Wertschöpfungsprozesses. Liefen früher roboterbasierte Handhabungsanwendungen aus Sicherheitsgründen hinter Schutzzäunen ab, kollaborieren jetzt Roboter mit Menschen und somit mit Greifern. Dennoch gibt es immer noch Bereiche, in denen der Mensch aufgrund seiner sensorischen, taktilen und kognitiven Fähigkeiten und aufgrund seiner empirischen Erfahrung jeder Automatisierungslösung überlegen ist. Doch humanoide Roboter holen hier auf und die Zimmer Group muss sich dazu Gedanken machen.

„Das Greifsystem ist Teil der digitalen Kette eines Wertschöpfungsprozesses.“ Sunil Raibagi, Zimmer Group

ROBOTIK UND PRODUKTION: Wie beeinflussen die aktuellen Megatrends die Entwicklung von Greifsystemen?

Raibagi: Der mannlose oder mannarme Betrieb von Produktionsanlagen im Dreischichtrhythmus mit verbesserter Verfügbarkeit ist der Haupttrend in jüngster Zeit. Und er macht aus der präventiven Instandhaltung die prädiktive Instandhaltung. Das bedeutet z.B., Sensoren zu entwickeln, die zur Funktionsüberwachung von Greifern Messdaten erfassen und diese zur Auswertung an Instandhaltungssysteme weiterleiten. Darüber hinaus muss auch die Kompatibilität mit übergelagerten MES-Systemen wie Dashboards oder Remote-Monitoren sichergestellt sein. Früher oder später werden auch Cobots überall sein; menschliche Maschinen und Roboter werden zusammenarbeiten. Dies bedeutet die Entwicklung von End-of-Arm-Tooling für Cobots. Wir haben bereits komplette MRK-Serien im Programm und arbeiten mit vielen namhaften Roboterherstellern zusammen. Was das angeht, kann ich nur sagen: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.

„In den nächsten drei bis vier Jahren werden 30 Prozent der verkauften Roboter MRK-Roboter sein.“ Sunil Raibagi, Zimmer Group

ROBOTIK UND PRODUKTION: Erstes Stichwort: menschliche Maschinen. Was halten Sie in diesem Marktsegment für realistisch machbar? Zweites Stichwort: Mensch/Roboter-Kollaboration. Wie wird sich dieses Marktsegment Ihrer Meinung nach entwickeln? Drittes Stichwort: MRK-Serien. Können Sie das präzisieren?

Raibagi: Humanoide Roboter wie der Asimo werden in naher Zukunft Realität und in Bereichen wie der Altenpflege oder einigen speziellen Anwendungen zu sehen sein. Auch MRK-Lösungen sind auf dem besten Weg. Jeden Tag kommen mehrere neue Akteure in die Märkte und hinter ihnen steckt eine riesige Forschung. In den nächsten drei bis vier Jahren, so eine Prognose, werden 30 Prozent der verkauften Roboter MRK-Roboter sein. Wir sehen großes Potenzial für die barrierefreie Interaktion zwischen Menschen und kollaborativen Robotern. Und auch hier hat Zimmer seine Hausaufgaben gemacht: Derzeit haben wir vier Greiferserien sowie verschiedene Varianten für MRK-Anwendungen im Programm, in Form von Standardgreifern und solche, die bereits eigens für Roboter von Kuka, Universal Robots und Yaskawa konfiguriert worden sind und über deren jeweilige Software programmiert werden.

ROBOTIK UND PRODUKTION: Herr Raibagi, vielen Dank für das Interview. (mli)

Sunil Raibagi

Bild: Zimmer Group

Der diplomierte Elektroingenieur gründete 1985 gemeinsam mit anderen das Startup-Unternehmen Intelmac (später Inteltek Automation) und war bis 2004 deren CEO. Geschäftstätigkeit von Inteltek: Ausrüster asiatischer Automobilbauer mit Equipment für die Montageautomation, Händler von Antriebs- und Steuerungssystemen namhafter europäischer Hersteller – auch für die Gebäudeautomation. Zwischen 2004 und 2011 war Raibagi Director bei Baldor Electric, einem US-amerikanischen Unternehmen aus dem Bereich der Antriebstechnik, das mittlerweile zum ABB-Konzern gehört. Ebenfalls 2004 gründete Raibagi im Zuge eines Joint-Venture Güdel India und war bis Anfang dieses Jahres deren Geschäftsführender Gesellschafter und zugleich Manager der Business Unit Powertrain der Güdel Group. Die Güdel Group, mit Stammsitz in der Schweiz, ist bekanntermaßen ein Hersteller von Portal- und Linearrobotern für die Automatisierung von Handhabungsprozessen in der Automotive wie in der General Industry.

Zimmer GmbH
www.zimmer-group.de

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: SMW-electronics GmbH
Bild: SMW-electronics GmbH
Kontaktlose Übertragung von Energie und Signalen durch induktive Koppelsysteme von SMW-Electronics

Kontaktlose Übertragung von Energie und Signalen durch induktive Koppelsysteme von SMW-Electronics

Eine wesentliche Rolle auf dem Weg zur digitalen Fabrik spielt smarte Konnektivität. Zur kontaktlosen Übertragung von Energie und Signalen für die Anbindung von Sensoren und Aktoren hat SMW-Electronics induktive Koppelsysteme entwickelt. In den unterschiedlichen Bauformen können sie nicht nur zusätzlichen Nutzen ausspielen, sondern ermöglichen auch ganz neuartige Anwendungen. Endlos rotierende Robotergreifer sind nur ein Beispiel.

Bild: DM-Drogerie Markt
Bild: DM-Drogerie Markt
Kommissionierung von Versandpaletten

Kommissionierung von Versandpaletten

Im Verteilzentrum der Drogeriekette DM in Wustermark bei Berlin sind insgesamt 19 Kuka-Roboter im Einsatz. Sie palettieren, depalettieren und positionieren die Waren vor, die dann vom Verteilzentrum aus ihren Weg in die DM-Filialen finden. Die automatisierten Intralogistiklösungen dort kommen von Swisslog. Das neuartige daran: Um alle Filialen flexibel und individuell mit Waren zu versorgen, kommt ein digitaler Zwilling der Filiale zum Einsatz.