Interview mit Helmut Schmid, Universal Robots

Interview mit Helmut Schmid, Universal Robots

„Das MRK-Pflänzchen wächst und wächst“

Heute gibt es kaum noch einen Roboterhersteller der keine spezielle Kinematik für die direkte Zusammenarbeit mit dem Menschen im Portfolio hat. Schaut man hinter die Kulissen, dann ist ein solcher Roboter zwar oft die richtige Basis, um eine Applikation in MRK-Hinsicht zu lösen. Doch es sind auch weitere Zutaten unabkömmlich. ROBOTIK UND PRODUKTION hat sich mit Helmut Schmid, Geschäftsführer von Universal Robots in Deutschland, über den technologischen Stand im Bereich MRK, über den heutigen Markt und über das Potenzial für die Zukunft unterhalten.

 (Bild: Universal Robots (Germany) GmbH)

Helmut Schmidt, Universal Robots: „Mittlerweile hat sich auch der Mittelstand zu einem Treiber von MRK und Leichtbaurobotik entwickelt.“ (Bild: Universal Robots (Germany) GmbH)

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Herr Schmid, im Gegenzug zu anderen Roboterherstellern, die nun auch das Segment von Leichtbaurobotik und MRK bedienen, widmet sich Universal Robots mit seinem Angebot komplett diesem Thema. Wie bewerten Sie die Mensch/Roboter-Kollaboration gerade aus Sicht der Praxistauglichkeit?

Helmut Schmid: Universal Robots hat sich mit seinem Roboterportfolio der Mensch/Maschine-Interaktion verschrieben, als dieses Pflänzchen gerade zu keimen begann. Mittlerweile ist die Pflanze größer geworden, sprich das Marktwachstum nimmt insbesondere seit einem halben bis dreiviertel Jahr an Fahrt auf. Dabei hat sich u.a. der Mittelstand immer stärker zu einem Treiber dieses Segmentes entwickelt. Das ist umso schöner zu beobachten, als unser Fokus in puncto Kosten und Usability ursprünglich schon auf dieser Zielgruppe lag. Zu Beginn waren es aber vor allem die Automobilhersteller und deren große Zulieferer, die das kleine Pflänzchen haben sprießen lassen.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Der Mittelstand hat also erstmal zugeschaut und die Großen ausprobieren lassen?

Schmid: Zumindest als MRK noch in der Testphase war. Doch seitdem die ersten Erfahrungen gesammelt und entsprechende Vorteile sichtbar sind, ist auch der Mittelstand über seinen Schatten gesprungen. Das zeigt die momentane Geschwindigkeit der Marktentwicklung sehr gut. Dafür war aber eine Menge Aufklärungsarbeit nötig und viele Kundentermine. Aber das Kundensegment hat jetzt verstanden: Für den Einsatz eines UR-Roboters benötigt man weder eine halbe Million Euro noch einen hochausgebildeten Spezialisten.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Bei der sicheren Zusammenarbeit von Mensch und Roboter geht es aber doch um weit mehr als nur den Roboter.

Schmid: Ganz klar. Eine sichere MRK-Applikation ist viel mehr als nur ein Roboterarm. Es geht auch um Programmierung sowie Bedienung und ganz wichtig: um die Sicherheit in der gesamten Anwendung. Man muss also immer die Applikation inklusive der Integration weiterer Komponenten und des Umfelds betrachten. Das dieses Wissen beim mittelständischen Anwender angekommen ist, dazu hat sicherlich auch eine entsprechende Entwicklung in der Normenwelt beigetragen.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Haben die großen Unternehmen im Gegenzug ihr Interesse an MRK ein bisschen verloren?

Schmid: Nein, auch die Großen sind nach wie vor dabei. Doch wenn es um die Automatisierung einer kompletten Fertigungslinie geht, lässt sich das Potenzial von MRK eben schneller ausschöpfen. In der Regel sollen solche Anlagen dann die nächsten Jahre durchlaufen und Flexibilität spielt keine so große Rolle. Der KMU-Bereich hat hingegen meist andere Losgrößen und benötigt bei der Automatisierung eine hohe Flexibilität. Deshalb glaube ich nach wie vor, dass der Mittelstand insgesamt der größere Treiber für MRK sein wird.

 (Bild: Universal Robots (Germany) GmbH)

Helmut Schmidt, Universal Robots: „Die Applikationen und Lösungen auf der Plattform UR+ haben sich im letzten Jahr verzehnfacht. (Bild: Universal Robots (Germany) GmbH)

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?

Schmid: Zum einen freuen wir uns natürlich, die Früchte jahrelanger Überzeugungsarbeit zu ernten. Zum anderen sind wir aber immer noch dabei, unser Händler- und Partnernetz auszubauen. Ein Ziel für die kommenden Jahre lautet allein in Deutschland 50 neue Integratoren zu finden. Eine wichtige Voraussetzung für den zukünftigen Erfolg ist, dass wir bei Engineering und Co. weiter Komplexität rausnehmen und die Integration so einfach machen, dass der Mittelstand seine MRK-Applikationen selbst planen und umsetzen kann. Diese Stoßrichtung soll auch unsere Plattform UR+ untermauern: Über die dortige Zusammenarbeit mit anderen Anbietern und die Integration deren Komponenten kann ein Techniker tatsächlich bereits viele Lösungen selbst umsetzen.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Wie ist denn heute das Verhältnis zwischen selbst machen und Integrator beauftragen?

Schmid: Ich würde sagen, rund drei Viertel der umgesetzten Lösungen laufen über den Integrator, weil CE-Zertifizierung und Risikobeurteilung noch große Themen sind. Können ist die eine, sich auch trauen die andere Seite der Medaille. Kleine Unternehmen scheuen oft noch die Verantwortung hinsichtlich Zertifizierung und Risikobeurteilung, was auch nachvollziehbar ist. Denn auch wenn mit Normen wie der ISO/TS15066 einiges klarer und einfacher wird, sind die Sicherheitsfragen nach wie vor alles andere als trivial.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Sie sprachen gerade die UR+-Plattform an. Wie hat sich diese denn bisher entwickelt?

Schmid: Auf der letzten Automatica 2016 hatten wir die Plattform und erste Applikationen vorgestellt. Mittlerweile haben wir 200 Entwicklungspartner an Bord, mit denen wir gemeinsam an neuen Lösungen im Robotikumfeld arbeiten. Das Spektrum umfasst Kamerasysteme, Sensoren, Greifer und Software Tools aber auch Zubehörteile. Die Applikationen und Lösungen auf UR+ haben sich im letzten Jahr rund verzehnfacht, woran man ablesen kann, dass hier eine neue Community entsteht – allein in der Nähe unseres Stammsitzes im dänischen Odense haben sich bereits 60 Firmen angesiedelt, die Mehrwert für MRK und Leichtbaurobotik anbieten. Das schöne für uns ist, dass wir wie bei unseren Leichtbaurobotern auch mit UR+ heute ein Alleinstellungsmerkmal besitzen, mit dem wir das Thema als Marktführer vorantreiben und uns am Markt positionieren können.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Das Ziel von UR+ ist es also, die richtigen Leute zusammen zu bringen?

Schmid: Ja, so wie früher bei Linux funktioniert UR+ in erster Linie als Open-Source-Community. Jeder kann sich kostenlos mit unseren Entwicklern in Dänemark und den 200 Partnern auf der Plattform austauschen – zum UR+-Firmenspektrum gehören viele Startups aber auch große Player wie Leoni oder Schunk. Ich gehe davon aus, dass sich die Plattform über die nächsten Jahre mehr und mehr regionalisiert. Heute werden die Produkte noch zentral angeboten, aber in Zukunft wird es spezielle UR+-Lösungen für den chinesischen, den amerikanischen oder den europäischen Markt geben.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Je nach den länderspezifischen Anforderungen.

Schmid: Richtig. Das stellt uns natürlich vor eine Herausforderung: Wie bringen wir das nötige Know-how von Dänemark aus in die jeweiligen Regionen? Selbst als gewachsenes Unternehmen mit über 300 Mitarbeitern ist das allein vom Stammsitz aus nicht mehr zu stemmen, weswegen wir dem Wachstum in den Regionen auch mit der Organisation folgen müssen. Das nächste Ziel für uns ist also die Regionalisierung mit Vertriebsniederlassungen und Servicezentren in aller Welt. UR+ ist für dieses Vorhaben ein wichtiger Pfeiler. Einen wichtigen Schritt sind wir bereits mit unserer neuen Niederlassung in München gegangen. Hier sind wir lokal präsent und bieten Service und Schulungen zu Leichtbaurobotik- und MRK-Themen.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Sie haben eben bereits die ISO/TS15066 gestreift. Ist damit die Normenlandschaft für den Bereich MRK bereitet?

Schmid: Aus meiner Sicht ist die Situation durchwachsen. Was Kräfte und Belastungen am Körper des Menschen angeht, hat die ISO/TS15066 theoretisch für Klarheit gesorgt und damit gibt es einen Rahmen, in dem man sich bewegen kann. Man stellt in der Praxis allerdings fest, dass einige der Werte nicht zwangsläufig passen. Es ist also noch Nacharbeit nötig. Auch wenn die ISO/TS15066 einen rechtssicheren Bereich vorgibt, ist der Evaluierungsaufwand zudem deutlich größer geworden.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Der höhere Aufwand ist also quasi der Preis der Zertifizierung?

Schmid: Genau. Die Folge sind mehr Aufwand und mehr Kosten – allein ein entsprechendes Messgerät kostet mehrere Tausend Euro. Prinzipiell ist es aber vollkommen richtig und wichtig, dass es solche Normen und Regularien gibt. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass sich der Aufwand für Integratoren und Anwender reduziert – z.B. durch theoretische Rechenmodule, die schnell und unkompliziert zeigen, ob eine Applikation in der geplanten Art und Weise funktioniert oder nicht.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Es heißt ja oft, in Deutschland werde alles überreguliert. Sind andere Regionen der Welt unkomplizierter, was die die Normen und Sicherheit im Bereich MRK angeht?

Schmid: Man muss hier unterscheiden: Der deutschsprachige Raum hat sicherheitstechnisch mit die höchsten Anforderungen. Dieser Anspruch gilt normalerweise auch für die Niederlassungen deutscher Firmen in anderen Ländern – egal ob in Rumänien, China oder den USA. Für ausländische Unternehmen mag der Sicherheitsansatz vielleicht eine kleinere Rolle spielen, doch für das Image der Mensch/Roboter-Kollaboration ist der regionale Aspekt vollkommen unerheblich. Bei einer Häufung von Unfällen bekäme die gesamte Branche Schwierigkeiten. Deswegen ist Sicherheit für uns selbstverständlich und sollte auch die erste Zielsetzung der gesamten Branche sein.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: In wie vielen Fällen arbeiten Ihre Roboter denn heute schon wirklich in direktem Kontakt mit dem Menschen?

Schmid: In schätzungsweise rund 20 Prozent der Fälle. Das Thema MRK genießt zwar eine hohe Aufmerksamkeit, doch für den Einsatz unserer Roboter sprechen oft andere Vorteile: Dann stehen Einfachheit, Kosten, Flexibilität, Gewicht oder Bauraum im Vordergrund und es ist eher Koexistenz als echte Kollaboration. Aber ich bin davon überzeugt, dass über MRK noch sehr viele neue Möglichkeiten in der Produktion erschlossen werden und dieser Anteil kontinuierlich zunimmt.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Es lässt sich ein Trend zu MRK in der Praxis aber schon erkennen?

Schmid: Ja, z.B. bei Pick&Place-Aufgaben oder der Maschinenbeladung. Auch in den Bereichen Logistik, Verpackung und End-of-Line unterstützen kollaborierende Roboter den Mitarbeiter schon bei einfachen Tätigkeiten, damit er mehr Zeit für qualitative Aufgaben hat. Theoretisch ist die Zusammenarbeit ja auch nicht auf die Industrie beschränkt, sondern auch in vielen Consumer-Bereichen denkbar.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Wie weit ist es für die Robotik denn dann noch in unser alltägliches Leben?

Schmid: Es gibt ja heute schon einige Assistenzroboter in unserem Umfeld: Sei es der Thermomix, der Roboterstaubsauger oder der autonome Rasenmäher. Und es werden viele weitere dazukommen, je weiter die Entwicklung in Richtung künstlicher Intelligenz geht. Wenn man berücksichtigt, dass ein Algorythmus bei Go – einem der kompliziertesten Brettspiele der Welt – bereits unschlagbar ist, dann ist Science-Fiction nicht mehr so fern. Bleibt noch die Frage, wie man diese Entwicklung positiv in der allgemeinen Wahrnehmung verankert, anstatt als Bedrohung. Wenn Roboter nicht nur die Mitarbeiter in der Fabrik, sondern auch in Krankenhäusern und Pflegeheimen entlasten, wenn behinderte Menschen eine Möglichkeit zur besseren Kommunikation und Interaktion bekommen – dann sind das doch hervorragende Beispiele. Aber: Neben den technologischen Möglichkeiten werden sicherlich auch immer ethische Prinzipien Grenzen für den Einsatz von Robotern und künstliche Intelligenz bestimmen.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Wie stark wirkt sich die Entwicklung auf Software- und KI-Seite auf Ihre Roadmap bei Universal Robots aus?

Schmid: Bei MRK spielt die Software heute schon eine bedeutende Rolle. Obwohl der Roboter an sich großteils mechanisch ist, sitzen in unserer Entwicklungsabteilung 70 bis 80 Prozent Software-Entwickler. Und dieser Anteil wird weiterhin wachsen. Denn auf dem Weg zu Machine-Learning, Big Data und Cloud-Anwendungen übernimmt die Software eben die Schlüsselrolle.

ROBTOTIK UND PRODUKTION: Was bedeutet das konkret für Ihr Unternehmen und die neue Niederlassung in München?

Schmid: Diese Entwicklung wird allein auf Seite der Fachkräfte zu einer Herausforderung, speziell für den Mittelstand. Die Anzahl der benötigten Fachkräfte – auch und gerade im IT-Umfeld – kann der hiesige Markt heute schlicht und ergreifend nicht liefern. Dennoch muss man für die Zukunft planen: Mit den Räumlichkeiten in München haben wir die Voraussetzungen geschaffen, um über die nächsten Jahre weiterhin mit 50 bis 60 Prozent pro Jahr wachsen zu können. Dafür benötigen wir neben den Entwicklern natürlich auch die richtigen Vertriebsleute. Vorrangig steht also der Kampf um die richtigen Mitarbeiter, der auch am neuen Standort nicht einfach ist. Gemäß unserem Ziel der Dezentralisierung wollen wir mittelfristig in allen Regionen der Welt solche Hotspots aufbauen. Abschließend lässt sich sagen: Das MRK-Pflänzchen wächst und wächst. Doch es ist noch kein Baum geworden. Zu diesem wird es sich aber auf jeden Fall entwickeln und deswegen wird über die nächsten Jahre im Automatisierungsumfeld noch viel passieren.

Universal Robots (Germany) GmbH
www.universal-robots.com/de

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