Robotereinsatz für flexible additive Fertigung

3D-Druck mit Siemens Sinumerik: CNC meets Cold Spray

Cold Spray ist ein additives Fertigungsverfahren, das sich gleichermaßen für die Herstellung neuer Teile wie für die Überholung gebrauchter Teile eignet. Die Spritzdüse kommt auf einem CNC-gesteuerten Roboter zum Einsatz, lässt sich also mit Werkzeugmaschinen-Programmierkenntnissen anwenden.
Cold Spray als Fertigungsverfahren in einer geschlossenen Roboterzelle 
mit CNC-Programmierung
Cold Spray als Fertigungsverfahren in einer geschlossenen Roboterzelle mit CNC-ProgrammierungBild: Maucher CNC-Robotic

Man nehme: technologisches Knowhow aus dem Siemens-Forschungszentrum, den auf Robotik spezialisierten Maschinenhersteller Maucher CNC-Robotic und die Sinumerik-Steuerungstechnik. Ergebnis ist ein Fertigungsverfahren, das in einer schlüsselfertigen Roboterzelle daherkommt. Da die Anwendung auf der G-Code-Basis arbeitet, lässt sie sich ohne Systembrüche mit CNC-Programmierkenntnissen einsetzen – sowohl in der Arbeitsvorbereitung als auch auf dem Shopfloor. Aber der Reihe nach.

Was ist Cold Spray?

Cold Spray, auf Deutsch Kaltgasspritzen, ist ein thermisches Spritzverfahren, das mit besonders niedrigen Temperaturen arbeitet und dabei das Aufschmelzen der Werkstoffe weitgehend vermeidet. Es verwendet heißes Druckgas, um Pulverpartikel auf Überschallgeschwindigkeit zu beschleunigen. Das gespritzte Material verschweißt auf dem Substrat dabei vor allem aufgrund der kinetischen Energie der Pulverteilchen. Zusätzliche lokale Energiequellen (z.B. Laser), Vakuum oder Schutzatmosphäre sind nicht nötig, und es fällt deutlich weniger überschüssige Hitze an als beim herkömmlichen thermischen Spritzen. Deshalb ist Cold Spray für den Einsatz auf relativ wärmeempfindlichen Oberflächen geeignet oder um Metalle miteinander zu verbinden, die sich erheblich in Schmelzpunkten oder Festigkeit unterscheiden.

Beim Einschlag auf dem Substrat deformieren sich die Partikel plastisch, verschweißen mit dessen Oberfläche und bilden einen dichten Überzug, der aufgrund seiner Mikrostruktur eine hohe Ermüdungsfestigkeit und Härte aufweist. Der Sandstrahleffekt, der dem Verfahren eigen ist, macht eine Vorbehandlung der Oberflächen oft überflüssig. Das gespritzte Material kann mit einer Dicke von mehr als 100mm aufgetragen werden. Da es typischerweise geringe Restverspannungen aufweist, ist fortgesetztes Spritzen zur generativen Fertigung geeignet. Dabei lassen sich nicht nur neue Teile herstellen, sondern es können auch beschädigte oder verschlissene Teile überholt oder runderneuert werden. Wenn durch Cold Spray auf die Produktion eines neuen Teils verzichtet werden kann, leistet es einen Beitrag zum schonenden Umgang mit Ressourcen. Bei der Entwicklung des Verfahrens am Siemens-Forschungszentrum hat sich gezeigt, dass sich industrielle Anforderungen an Wiederholbarkeit und Genauigkeit am besten durch eine roboterbasierte Führung der Spritzdüse realisieren lassen.

Bei Bedarf kann ein zweiter Roboter (im Bild links) mit einer Fräsanwendung ausgestattet werden, um die neu erzeugte Kontur direkt subtraktiv nachzubearbeiten.
Bei Bedarf kann ein zweiter Roboter (im Bild links) mit einer Fräsanwendung ausgestattet werden, um die neu erzeugte Kontur direkt subtraktiv nachzubearbeiten.Bild: Maucher CNC-Robotic

Anwendungsspezifische Lösungen

Wer darüber nachdenkt, ob sich Cold Spray als Verfahren für eine bestimmte Anwendung einsetzen lässt, muss lediglich Informationen zum konkreten Werkstück, zu den Dimensionen von Werkstück und Kontur und zum Werkstoff parat haben. Damit analysiert Siemens den Prozess und erarbeitet den kundenspezifischen Lösungsansatz bzw. die passenden Vorgehensweisen mit unterschiedlichen Werkstoffen wie Kupfer, Aluminium oder Titan und deren Legierungen. Aus alledem ergeben sich die Parameter für Materialkörnung, Düsen, Spritzdruck, auftragbare Dimensionen, Bahnführung oder Geschwindigkeiten, um die geforderte Kontur aufzubauen.

Stehen die anwendungsspezifischen technologischen Parameter fest, geht es an die kinematische Auslegung. Dabei wird sichergestellt, dass z.B. die Kinematik die zur Anwendung passende Spritzdüse mit bis zu 60kg am Tool Center Point tragen kann. Die jeweilige Roboterzelle wird von Maucher CNC-Robotic realisiert. In einem modularen Fertigungszellen-Konzept können außer Cold Spray auch Techniken wie Wasserstrahlschneiden, Kleben und Kletten, Ultraschallschneiden oder -schweißen umgesetzt werden. In einem Cold-Spray-Modul lassen sich sowohl Zusatzachsen (z.B. Dreh-, Kipp- oder Schwenktische) als auch Linearachsen und eine zweite Roboterkinematik für die Multiachsrobotik integrieren. Der zukünftige Maschinenbetreiber erhält am Ende eine Komplettlösung, mit der er unmittelbar in Produktion gehen kann.

Cold Spray in der Anwendung: Siemens erarbeitet 
kundespezifische Lösungsansätze, Maucher CNC-Robotic realisiert die konkrete Anwendung
Cold Spray in der Anwendung: Siemens erarbeitet kundespezifische Lösungsansätze, Maucher CNC-Robotic realisiert die konkrete AnwendungBild: Siemens AG

CNC-gesteuert und G-Code-programmiert

Trotz teilweise hoher Anforderungen an die Roboterbahnplanung für Cold-Spray-Prozesse gibt es keine Hardware- oder Software-seitigen Hürden in der praktischen Anwendung. Denn Cold Spray kommt ohne einen Roboter-Controller und damit ohne spezielles Robotik-Knowhow aus. Ausgestattet mit der CNC-Lösung Sinumerik lässt es sich mittels G-Code nach DIN66025 bzw. ISO6983 programmieren. Da diese Sprachbefehle in der Branche sehr verbreitet sind, ist keine aufwendige Schulung nötig, um eine Cold-Spray-Anlage zu bedienen und zu programmieren. Aus der Sinumerik-Steuerung ergeben sich weitere Vorteile: Die Verarbeitung von bis zu 31 Achsen in mehreren kinematischen Ketten, zehn NC-Kanälen, drei Betriebsartengruppen und eine exakte Bahnführung gehören bei Sinumerik im Zusammenspiel mit dem dynamischen Antriebssystem Sinamics S120 zur Grundausstattung.

Eine Sechachskinematik lässt sich durch bis zu drei interpolierende Zusatzachsen (z.B. Dreh-, Dreh/Kipptisch oder Linearachse) ergänzen. In einer Cold-Spray-Zelle ist zudem ein zweiter Roboter möglich, der gleichzeitig parallel oder sequenziell weitere Aufgaben übernimmt. Das ergibt in Summe 15 Achsen. Die für Cold-Spray-Anlagen eingesetzte Steuerung Sinumerik One mit Run MyRobot /Direct Control beherrscht Multiachs-Anwendungen mit bis zu 31 Achsen. Die Roboterkinematik mit ihrem Tool Center Point (TCP), dem Arbeitspunkt auf der Bearbeitungsbahn, wird in der Sinumerik One durch eine kinematische Kette beschrieben. Im Gegensatz zum herkömmlichen Punkt-zu-Punkt-Achsverfahren arbeitet der Sinumerik-gesteuerte Roboter im echten Bahnführungsbetrieb. Diese Bahnführung des TCP ist also genauer als bei herkömmlichen Kinematiken möglich und sorgt für hohe Qualität und Konturtreue. Je nach Anwendung liegt die Genauigkeit im Bereich von Hundertsteln – vorausgesetzt, die Roboterkinematik ist mit einem 3D-Messverfahren vermessen und kompensiert. Falls auf der erzeugten Oberfläche Genauigkeiten gefragt sind, die sich mit additiven Verfahren nicht erreichen lassen, kann ein zweiter Roboter mit einer Fräsanwendung ausgestattet werden, um die neu erzeugte Kontur direkt nachzubearbeiten. Hier kooperiert Maucher CNC-Robotic mit dem Roboterherstellern Autonox und Mabi.

Kompaktes geschlossenes Zellenkonzept

Die komplett in Betrieb genommene, geschlossene Cold-Spray-Zelle von Maucher lässt sich als Kranhakenlösung schnell verladen und ist dann in kurzer Zeit betriebsbereit. Um die zur Verfügung stehende Produktionsfläche komplett zu nutzen, ist das Zellenkonzept von Maucher modular ausgelegt, sodass sich die Anwendung in unterschiedlicher Weise anordnen und mit weiteren Modulen für die reduktive Nachbearbeitung ergänzen lässt. Eine Integration in eine bestehenden Fertigungslinie und deren Verkettung ist unkompliziert möglich. Für die Bearbeitung größerer Werkstücke, die sich nicht transportieren lassen, empfiehlt sich ein Zellenkonzept, bei dem die Roboterkinematiken auf Linearachsen entlang des Werkstücks verfahren.

Kontakt

Dirk Brissé
Maucher CNC-Robotic GmbH
Email: brisse@maucher-cnc-robotic.de | Web: https://www.maucher-cnc-robotic.de

Oliver Freisler
Siemens AG
Digital Industries
Machine Tools Systems 6
Email: oliver.freisler@siemens.com

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