Vorschriften für kollaborierende Robotersysteme

Vorschriften für kollaborierende Robotersysteme

Echte Zusammenarbeit

Seit einiger Zeit stehen aufgrund fortschreitender Sicherheitstechnik Robotersysteme zur Verfügung, die für eine direkte Zusammenarbeit mit dem Menschen vorgesehen sind. Die klassischen Schutzsysteme wie Schutzzäune als Zutrittsverhinderung entfallen dann. Dabei gilt es aber bestimmte rechtliche und technische Voraussetzungen zum Betrieb solcher Roboter einzuhalten.

 (Bild: Universal Robots)

(Bild: Universal Robots)

Bei herkömmlichen Industrierobotern verhindern in der Regel Schutzzäune in Kombination mit optischen Schutzsystemen, z.B. Lichtvorhänge, den Zutritt zum Gefahrenbereich. Eine Person kann sich dem Roboter nur nähern, nachdem dieser stillgesetzt ist. Eine direkte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter ist mit diesem Schutzkonzept nicht realisierbar. Kollaborierende Robotersysteme sind hingegen für eine echte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter konzipiert. Motivationen zum Einsatz von kollaborierenden Robotersystemen im Betrieb können sein:

  • Steigerung der Wirtschaftlichkeit bei geringeren Losgrößen
  • mehr Flexibilität
  • verbesserte Produktqualität
  • demografischer Wandel
  • verbesserte Ergonomie an manuellen Arbeitsplätzen
  • Vermeidung klassischer Unfallursachen, wie das Umgehen von Schutzeinrichtungen

Das Ziel dabei ist, dass der Mensch seine sensorischen und motorischen Fähigkeiten einbringt, während der Roboter die Tätigkeiten übernimmt, die unergonomisch oder monoton sind oder besondere Ausdauer erfordern. Schutzkonzepte für kollaborierende Roboter müssen das berücksichtigen und basieren größtenteils auf der Konstruktion und der Steuerung des Roboters. Die technischen Voraussetzungen dafür stehen heute bereits zur Verfügung.

Rechtsvorschriften für Hersteller/Integratoren

Kollaborierende Robotersysteme fallen in den Geltungsbereich der Europäischen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Die harmonisierten Europäischen Normen ISO10218-1 und ISO10218-2 entfalten die sogenannte Vermutungswirkung. Das bedeutet: Bei Anwendung dieser Normen ist davon auszugehen, dass die Anforderungen der Maschinenrichtlinie eingehalten wurden. Im Hinblick auf kollaborierende Robotersysteme sind die Anforderungen in ISO10218-1 und ISO10218-2 aufgrund dieser relativ neuen Technologiesparte noch unvollständig beschrieben. Daher wurden mit der Technischen Spezifikation ISO/TS15066 ergänzende Anforderungen formuliert. Wer sich einen ersten Überblick verschaffen möchte, findet die dazu nötige Information in der DGUV-Information FBHM080 Kollaborierende Robotersysteme – Planung von Anlagen mit der Funktion ,Leistungs- und Kraftbegrenzung‘. Nach den oben genannten normativen und rechtlichen Anforderungen muss der Hersteller eines kollaborierenden Robotersystems (Integrator) beim Inverkehrbringen die üblichen Unterlagen wie auch für andere Maschinen bereitstellen, z.B. EG-Konformitätserklärung, Betriebsanleitung, CE-Zeichen. Ein nach der Maschinenrichtlinie ebenso erforderliches Dokument ist zudem die Dokumentation der Risikobeurteilung. Sie muss nicht mit dem Produkt ausgeliefert werden und darf beim Hersteller verbleiben. Die von der Risikobeurteilung abzuleitenden Schutzmaßnahmen müssen insbesondere die unmittelbare Nähe von Mensch und Roboter berücksichtigen.

Welche Voraussetzungen muss der Roboter erfüllen?

Von den nach ISO/TS15066 derzeit bekannten vier Kollaborationsarten Handführung, sicherheitsgerichteter Stopp, Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung sowie Kraft- und Leistungsbegrenzung bietet die Kraft- und Leistungsbegrenzung im industriellen Umfeld derzeit das größte Potenzial. Für diesen Zweck hergestellte Roboter – oft auch als Leichtbauroboter bezeichnet – können z.B. mit Sensoren ausgestattet sein, die bei Annäherung eines Menschen rechtzeitig einen Bewegungsstopp auslösen. Sie können aber auch die bei einem Kontakt zwischen Mensch und Robotersystem auftretenden Kräfte und Drücke durch eine sichere Kraft- oder Drehmomentbegrenzung auf ungefährliche Werte reduzieren. Beide Ansätze werden auch miteinander kombiniert. Für die Mensch/Roboter-Kollaboration sind in der Regel weitere ergänzende Sicherheitsfunktionen erforderlich, wie z.B. eine sichere Überwachung der Geschwindigkeit und sichere Raumgrenzen.

Sicherheit in der Applikation

Beim Identifizieren von Gefährdungen muss die gesamte Applikation betrachtet werden. Neben dem eigentlichen Roboter sind daher auch die Roboterwerkzeuge, Werkstücke, Fördertechnik sowie alle beteiligten Vorrichtungen einzubeziehen. Grundsätzlich muss die Applikation so gestaltet werden, dass es bestimmungsgemäß nicht zu einem Kontakt zwischen Mensch und Roboter kommt. Im Falle eines unbeabsichtigten Eingreifens, z.B. aufgrund einer unvorhergesehenen Störung, dürfen bestimmte Grenzwerte für Kraft und Druck bei der Kollision nicht überschritten werden (biomechanische Grenzwerte). Diese Grenzwerte sind in der ISO/TS15066 festgelegt. Die biomechanischen Grenzwerte sind je nach Körperbereich verschieden, da die Brust, der Bauch oder auch eine Hand unterschiedliche Druckempfindlichkeit besitzen. Basis für diese Grenzwerte sind u.a. von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM), dem Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) geförderte Forschungsprojekte, deren Ergebnisse international anerkannt sind und in der internationalen Normung verankert wurden. Für die Bewertung von nach Risikobeurteilung möglichen Kontaktsituationen (z.B. im Bereich der Hände oder Schultern) stehen derzeit noch keine ausreichenden Simulations-Tools zur Verfügung. Daher sind Messungen unverzichtbar. Es sind immer beide Grenzwerte, für Kraft und für Druck, zu berücksichtigen. Wird einer der Grenzwerte überschritten, ist der Test nicht bestanden. In der Regel müssen dann die am Roboter eingestellten Sicherheitslimits für die Kraft in Verbindung mit der sicher überwachten Geschwindigkeit reduziert werden. Werden danach Werte weiterhin überschritten, muss die Konstruktion geändert werden: z.B. durch größere Flächen, verstärkte Polsterung oder federnd gelagerte Greifer. Für Scher-, Schneid- oder Stichgefährdungen existieren keine Grenzwerte. Die Applikation muss Gefährdungen dieser Art ausschließen. Ansonsten ist kein kollaborierender Betrieb zulässig. Wegen des möglichen direkten Kontaktes zwischen Person und Robotersystem muss es eine Einrichtung am Robotersystem geben, mit der sich Personen jederzeit selbständig befreien können. Viele Hersteller von kollaborierenden Robotersystemen lassen die Übereinstimmung ihres Produktes mit dem Regelwerk zusätzlich durch eine unabhängige Prüfstelle zertifizieren, wie der Prüf- und Zertifizierungsstelle Maschinen und Fertigungsautomation im DGUV Test bei der BGHM. Wichtig ist dabei, dass die Roboter in einer geeigneten und typischen Applikation überprüft werden. Nur so lässt sich feststellen, ob die oben genannten Grenzwerte auch unter Praxisbedingungen eingehalten werden. Für die Zukunft ist u.a. seitens der Roboterhersteller die Entwicklung von Simulations-Tools zu erwarten, die einen schrittweisen Verzicht auf Messungen ermöglichen.

Das muss der Betreiber beachten

Für den Betrieb von kollaborierenden Robotersystemen gelten zunächst die gleichen Anforderungen wie auch für sonstige Maschinenarbeitsplätze. Der Betreiber muss zusätzlich zu den für den Hersteller geltenden Anforderungen gemäß Arbeitsschutzgesetz vor Ort für die jeweiligen Einsätze bzw. Tätigkeiten der Beschäftigten Gefährdungsbeurteilungen durchführen, Schutzmaßnahmen ableiten, umsetzen und die Wirksamkeit kontrollieren. Ebenso müssen regelmäßige Unterweisungen durchgeführt werden. Die Vorgehensweisen sind zwar im Vergleich mit anderen Maschinenarbeitsplätzen dieselben. Bei Betrachtung der Gefährdungen gibt es jedoch einige Besonderheiten. So ist beispielsweise die Möglichkeit zum Befreien etwas Besonderes und muss erklärt werden. Auch das Hinzutreten Dritter muss im Betrieb geregelt werden. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch das Vorsehen sogenannter Wiederholungsmessungen. Die im Roboter hinterlegte Überwachung der biomechanischen Grenzwerte bei Kontakt zwischen Mensch und Roboter kann sich im Laufe des Betriebs der Anlage verändern, z.B. durch Verschleiß, Umbau, Umprogrammierung oder Teilewechsel. Um diese Veränderungen zu erkennen, müssen anlassbezogen und in regelmäßigen Abständen Wiederholungsmessungen von Kraft und Druck bei Kontakt durchgeführt werden. Eine vom Betreiber zusammengefasste Betriebsanweisung mit den wichtigsten Verhaltensanforderungen zum sicheren Betrieb ist auf jeden Fall empfehlenswert. Die Betriebsanweisung ist dauerhaft und gut sichtbar am Arbeitsplatz anzubringen. Vordrucke stehen bei der Berufsgenossenschaft zur Verfügung.

Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM)
www.bghm.de

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