Robotik made in Ontario

Fünf Start-up-Unternehmen aus Kanada

Robotik made in Ontario

In der kanadischen Provinz Ontario ist die nächste industrielle Revolution bereits in vollem Gange. Dort ist zwischen etablierten Größen und Neulingen in der Robotikbranche eine symbiotische Beziehung entstanden, bei der etablierte Unternehmen von der Zusammenarbeit mit der Start-up-Community profitieren. Das traditionsreiche Industriezentrum Kanadas grenzt im Süden direkt an die US-amerikanische Automobilmetropole Detroit.
Während die Fertigungsindustrie in der Nachbarregion mit dem Strukturwandel kämpft, erlebt die Branche in Ontario dynamische Zeiten. Dort treffen namhafte internationale Anbieter wie Festo, Kuka oder Fanuc auf junge und innovative Unternehmen aus der Region, wie Clearpath Robotics oder Bluewrist. Ontario entwickelt sich zu einem weltweiten Zentrum für Robotik und industrielle Automation – und das hat Gründe: Die kanadische Provinz verfügt über eine traditionsreiche industrielle Basis, ausgezeichnete Hochschulen und einen großen Talent-Pool, ein wettbewerbsfähiges Geschäftsklima, eine florierende Start-up-Kultur sowie beispielhafte Öffentlich-private Partnerschaften.

Bild: Ministry of Economic Development and Growth (MEDG) Ontario

Die Robotik ist ein zentraler Schlüssel für die internationale Fertigungsindustrie und birgt auch großes Potenzial für die Forschung. (Bild: Ministry of Economic Development and Growth (MEDG) Ontario)

Die Zukunft hat begonnen: Der RoboHub der University of Waterloo, Ontario

Wer ein Fallbeispiel für das Innovationspotenzial von Ontarios Robotikindustrie sucht, findet es an der University of Waterloo. Sie verfügt traditionell über einen ingenieurwissenschaftlichen Schwerpunkt und gehörte zu den ersten Hochschulen mit umfassenden mechatronischen und nanotechnologischen Studiengängen. Den Ruf der naturwissenschaftlich-technischen Kompetenz wissen auch namhafte Kooperationspartner wie Google und Apple zu schätzen. Im Bereich der Robotik ist die University of Waterloo besonders ambitioniert: Bis 2018 entsteht ein weiteres Zentrum für Ingenieurswissenschaften auf dem Campus der Universität. Herzstück ist der RoboHub – das erste Entwicklungszentrum und Testlabor, in dem parallel an Luft-, Boden-, Maglev- und Humanoid-Robotern gearbeitet wird. Dort entsteht ein internationaler Hub für Entwickler und Experten aus Amerika, Asien, Europa und Australien. „Die Einrichtung ermöglicht uns neue Wege der interdisziplinären Robotikforschung und wird Kanada einen Vorsprung in diesem zukunftsträchtigen und strategisch wichtigen Industriezweig bescheren.“, so William W. Melek, Professor und Direktor des Fachbereichs Mechatronics Engineering.

Vom Weltall in den Operationssaal: Healthcare Robots von MDA Corporation

Eine zunächst ungewöhnlich anmutende Geschichte besitzt der Roboterhersteller MDA Corporation mit Sitz u.a. in Ottawa und Brampton. Ursprünglich konzentrierte sich das Unternehmen auf Roboter für den Einsatz im Weltall. Um jedoch den potentiellen Kundenstamm auszuweiten, suchte es nach weiteren Anwendungsgebieten für die auf Hochpräszision und Verlässlichkeit spezialisierte Robotertechnik. Die Ingenieure von MDA fanden sie im Bereich der Gesundheitstechnik. Die hier verwendete Robotertechnik kommt nun u.a. bei automatisierten Brustkrebsbiopsien zum Einsatz. MDA ist nur ein Beispiel für Medizinrobotik made in Ontario. Als noch junges Start-up aus Toronto hat Synaptive Medical eine neurochirurgische Methode zur Erkennung, Diagnose, Behandlung und Beobachtung von Hirnerkrankungen entwickelt. Mit der Methode lassen sich die Kosten von neurochirurgischen Behandlungen um rund 25 Prozent reduzieren. Im Healthtech-Bereich ist die fruchtbare Kooperation mit öffentlichen Stellen ebenfalls ein zentraler Erfolgsfaktor. So entwickelte MDA seine Medizinapplikationen in Zusammenarbeit mit dem Centre for Surgical Invention and Innovation an der McMaster University in Hamilton.

Collaborative Robots: Mensch und Maschine im Einklang

Die industrielle Robotik steht im Zeichen des Wandels. Während der traditionelle Roboter eine schlichte Arbeitsmaschine ist, die dem Menschen simple, sich wiederholende und fehleranfällige Aufgaben abnimmt, bewegt sich der Trend hin zu hochtechnisierten Robotern mit künstlicher Intelligenz, die beinahe auf Augenhöhe mit dem Menschen arbeiten. Solche ‚Collaborative Robots‘ erledigen ihre Aufgabe nicht nur schneller und präziser, sondern sind auch in der Lage, sicherer und somit näher und enger mit ihren menschlichen Kollegen zu arbeiten. Künstliche Intelligenz erlaubt den Robotern aus Erfahrungen zu lernen und gefährliche Situationen zu vermeiden. Der Verband Federation of Robotics rechnet bis zum Jahr 2025 mit einer Verzehnfachung des globalen Absatzmarktes dieser Robotiksparte auf über eine Milliarde Dollar. In Ontario ist der Trend zu kollaborierenden Robotern ebenfalls zu beobachten. Lokale Unternehmen wie Bluewrist spezialisieren sich auf hochtechnisierte Automationslösungen und programmieren moderne Roboter für die gemeinsame Arbeit mit Menschen. Bluewrist-Präsident Najah Ayadi ist überzeugt vom hohen wirtschaftlichen Nutzen der neuen Roboter: „Die neuen Generationen sicherer Roboter rentieren sich im Schnitt schon nach einem Jahr.“ Hohe Rentabilität, intuitive Bedienbarkeit und geringer Sicherheitsaufwand machen moderne Industrieroboter vermehrt auch für kleine und mittelständische Unternehmen zu einer gewinnbringenden Investition. Denn, so Chris Claringbold, CEO von Kuka Robotics Canada: „Man braucht heute keinen Ingenieur mehr, um ein Robotersystem zu programmieren. So profitiert jeder vom technischen Fortschritt.“ Wie Bluewrist schätzt das Traditionshaus Kuka aus Augsburg die guten Bedingungen vor Ort in Ontario. Dies gilt für die enge Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hochschulen, aber auch für die Kooperation mit Regierungsstellen und Normengremien. Der Umgang mit Letzteren ist bei sensibler Technik, wie sie bei kollaborierenden Robotern zum Einsatz kommt, besonders wichtig.

Roboter im Logistikzentrum

Der autonome Transportroboter Otto von Clearpath Robotics aus Waterloo (Ontario) ist in der Lage, unabhängig zwischen Arbeitern oder Gegenständen zu navigieren, ihnen auszuweichen oder vor ihnen zu stoppen. Das junge Unternehmen – von Studenten der University of Waterloo gegründet – entwickelt eine Reihe fahr- und schwimmfähiger Smart Robots, die sich auch abseits von Logistikzentren in unwegbarem Terrain zurechtfinden. „Die Branche ist engagiert, die monotonsten, schmutzigsten und gefährlichsten Jobs der Welt zu automatisieren. Die wirtschaftlichen Vorzüge dieser Entwicklung sind nicht von der Hand zu weisen“, schwärmt Simon Drexler von Clearpath Robotics. Gerade für die Logistikbranche, die oft von einem harten Arbeitsalltag für die Beschäftigten, starker Alterung der Belegschaften und zunehmender Arbeitskräfteknappheit geprägt ist, bedeutet die Automation einen Effizienzsprung. Cimcorp Automation ist ein weiteres Unternehmen, das intelligente Roboter im Logistikbereich entwickelt. Für Rick Trigati, Präsident der Firma aus Grimsby (Ontario), gibt es objektive Gründe, warum die Provinz zu einem zentralen Hub der internationalen Robotikindustrie geworden ist: „Wir kommen aus einer Region, die stark durch die Automobil- und Stahlindustrie geprägt ist. Daher finden wir direkt vor Ort die nötigen Ressourcen und potentiellen Kunden.“

Start-ups fördern und von ihnen lernen

Bei der Fortentwicklung von Ontarios Robotikindustrie spielen Start-ups eine entscheidende Rolle. Aufgrund verstärkter F&E-Förderung und wettbewerbsfähiger Unternehmenssteuersätze haben Jungunternehmer in der Provinz gute Chancen. Des Weiteren haben sie die Möglichkeit, auf ein weites Netzwerk aus Hochschulen und Wissenschaftsinstituten zurückzugreifen, die junge Unternehmen fördern. Beispiele dafür finden sich viele: An der University of Waterloo entwickeln Studenten zusammen mit Partnern aus der Gesundheitswirtschaft Roboter für die Anwendung in der Physiotherapie. Am ABB Robotics Center des Sheridan Colleges in Brampton haben Jungunternehmer die Möglichkeit, zu günstigen Konditionen und unter professionellen Bedingungen ihre Innovationen zu testen. Die Unterstützung der Szene durch erfahrene Unternehmen und Branchenvertreter, die als Inkubatoren oder Investoren auftreten, ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Start-up-Klima. Globale Konzerne wie Samsung, Intel und Hitatchi finanzieren Forschung an örtlichen Universitäten und Hochschulen, während MDA, Festo oder Clearpath als örtliche Inkubatoren fungieren. Viele Inkubatoren und Business Accelerators der Region haben sich zu großen Netzwerken wie dem MaRS Discovery District in Toronto oder dem Communitech in Waterloo zusammengeschlossen und bieten Start-ups zentrale Anlaufstellen. Zwischen Branchengrößen und Neulingen entsteht dabei eine symbiotische Beziehung. Gerade bei der Entwicklung von integrierten und digitalisierten Systemen, die im Zentrum der vierten industriellen Revolution stehen, profitieren die Unternehmen von der Zusammenarbeit mit der Start-up-Community, wie Peter Fitzgerald, General Manager bei Fanuc Canada, erklärt: „Fanuc arbeitet hier mit Hunderten von Integratoren, um sich den neuen Herausforderungen der industriellen Fertigung zu stellen“. Der kanadische Ableger des deutschen Unternehmens Festo hebt vor allem die Bedeutung der Jungunternehmer als Impulsgeber hervor, die stets für frische Ideen sorgen. „Wir sehen uns als eine Art Inkubator“, erklärt Roger Hallett, Kanada-CEO von Festo, dazu. n „Ausgezeichnete Perspektiven“

Ontario hat sich in den vergangenen Jahren zu einem führenden Zentrum der internationalen Robotikindustrie entwickelt. Bereits heute sind in der Provinz mehr als 350 Robotikunternehmen aktiv. Die 24 Colleges und 14 Universitäten der Provinz bilden in engem Schulterschluss mit der Wirtschaft die Fachkräfte der Zukunft aus. Darüber hinaus treiben die Hochschulen Forschung und Entwicklung in den Schlüsselbereichen Weltraumrobotik, Drohnentechnik, automatisierte Fahrzeuge sowie Untertage- und Unterwasseranwendungen voran. Die dynamische und diversifizierte Fertigungsindustrie der Provinz bietet vielfältige Anwendungsbereiche für Robotik- und Industrieautomations-Techniken, z.B. in der Automobil- und Lebensmittelwirtschaft, im Bereich von Life Sciences und Gesundheitstechnologien sowie im Anlagen- und Maschinenbau. Diese breite industrielle Basis, unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen sowie die wirtschaftliche Dynamik in der Provinz – Ontario verzeichnete im ersten Quartal 2016 die höchste Wachstumsrate aller G7-Mitglieder – bieten deutschen Investoren ausgezeichnete Wachstumsperspektiven.

Ministry of Economic Development and Growth
www.ontario.ca

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