Interview mit Bernd Liepert, Kuka

Interview mit Bernd Liepert, Kuka

„Wir denken Wege in die Zukunft“

Dr. Bernd Liepert war Entwicklungsingenieur, Entwicklungsleiter und später auch CEO der Robotersparte von Kuka, er war Chief Technology Officer der Muttergesellschaft und arbeitet seit drei Jahren als Chief Innovation Officer am Ausbau von Innovationen bei Kuka. Was das konkret heißt und welche Hindernisse es gibt, verrät er in unserem Interview.

Chief Innovation Officer Bernd Liepert denkt bei Kuka Wege in die Zukunft. (Bild: Kuka AG)

Chief Innovation Officer Bernd Liepert denkt bei Kuka Wege in die Zukunft. (Bild: Kuka AG)

Herr Dr. Liepert, welche Aufgaben haben Sie als Chief Innovation Officer bei Kuka?

Bernd Liepert: Qua definitionem führe und verantworte ich den Bereich Innovationsmanagement. Meine Aufgaben und die meiner Mitarbeiter lassen sich wohl am besten in einem Satz beschreiben: Wir denken Wege in die Zukunft. Dabei motivieren wir Mitarbeiter, in diesem Sinne mitzudenken, wir schärfen deren Blick für gebotene Neuerungen und Veränderungen, initiieren Projekte und Prozesse.

Wo ist der Bereich Innovationsmanagement innerhalb der Kuka-Organisation angesiedelt?

Liepert: Innovation ist Teil der Kuka-Strategie und damit auch Chefsache. Aus diesem Grund ist unser Bereich zentral aufgehängt. Meine Mitarbeiter sind allesamt Automatisierungsexperten und können Technologien, Applikationen oder Markt- und Branchenentwicklungen wunderbar einschätzen und bewerten.

Wie generieren Sie und Ihre Mitarbeiter denn Erkenntnisse, Zahlen, Daten, Fakten über innovative Trends, Technologien, Applikationen und Märkte?

Liepert: Grundsätzlich kommen Innovationen in der Industrie nicht als Big Bang daher. Nahezu alle Neuerungen resultieren aus kleinen und kleinsten Verbesserungen. Bei Kuka beispielsweise ist jeder unserer weltweit 14.000 Mitarbeiter dazu eingeladen, sich Gedanken über Verbesserungen in seinem eigenen Arbeitsumfeld zu machen. Die Ergebnisse werden gesammelt und verifiziert und können Anregungen geben, Prozesse und Produkte zu optimieren. Ebenso unterstützen wir die Neu- und Weiterentwicklung von Robotern, Peripheriegeräten, Fertigungsanlagen und Technologien. Und dann gibt es die sogenannten Megatrends wie die Digitalisierung, Überalterung der Bevölkerung, Individualisierung der Produkte und so weiter. Zu all diesen Trends gibt es Studien, die wir unter dem Aspekt analysieren, was jeder einzelne dieser Trends für die Robotik und Automation bedeutet. Wie kann unser Know-how in Industrie 4.0, Elderly Care und Mensch/Maschinen-Kollaboration und so weiter hier helfen. Schließlich prüfen wir, inwieweit Anwendungen und Applikationen in neue Bereiche übertragbar sind. Das alles sind sehr facettenreiche Themen, die wir sehr genau verfolgen. Um all das mit Zahlen, Daten und Fakten zu unterfüttern, nutzen wir sowohl unsere eigenen Studien und Informationen als auch externe Quellen.

Welchen Facettenreichtum meinen Sie konkret?

Liepert: Bei Industrie 4.0 sprechen wir beispielsweise von mobilen, vernetzten Robotern und sich selbst optimierenden flexiblen Produktionssystemen, die über Cloud-Plattformen miteinander kommunizieren und Daten in Echtzeit austauschen und so weiter. Bei Elderly Care ist Medical Care nicht weit. Denken wir diesen Aspekt weiter, dann sind wir bei Reha-Systemen. Das wiederum bringt uns zu Cobots, zur Mensch/Maschine-Interaktion, zur Service- und zur mobilen Robotik, zu Leichtbaurobotern, zum Consumer-Bereich. Und schon sind wir beim Thema Sicherheit für Mensch, Maschine, Prozess und Aktionsumfeld. Das alles zeigt doch, wie eng die Megatrends miteinander verzahnt sind. Und es gibt noch weitaus mehr Verknüpfungen.

Wie trennt man kurzfristig Interessantes von nachhaltig Zukunftsfähigem? Und was passiert bei der Kuka mit solchen Erkenntnissen?

Liepert: Innovationsmanagement an sich ist schon nichts Kurzfristiges. Alles, was Kuka gegenwärtig den Kunden an Produkten, Leistungen, Automatisierungs- und Fertigungslösungen bietet, hat vor zehn und mehr Jahren seinen gedanklichen Anfang genommen. Und wir arbeiten aktuell an Antworten auf die Frage, was Kuka den Kunden in zehn oder fünfzehn Jahren bieten muss. Natürlich beobachten wir auch plötzlich aufkommende Hypes. Aber: Kuka ist ein Technologie-Konzern mit ganz klarer Ausrichtung und ganz klaren Zielen. Das ist entscheidend.

Wie sehr und in welcher Weise profitieren Sie bei Ihrer Arbeit von den beruflichen Erfahrungen, die Sie in fast 30 Jahren bei Kuka gesammelt haben?

Liepert: In das Innovationsmanagement war ich in allen meinen Positionen bei Kuka eingebunden. Die Erfahrung hilft mir vor allem bei der Einschätzung, welche Trends Potential haben und welche nicht. Ich habe früh begonnen, die Dinge langfristig zu betrachten. Einer meiner früheren Chefs hat mich vor vielen Jahren gelehrt: „Wenn Du in einem Prozess den nächsten Schritt noch nicht kennst, dann denke an den übernächsten Schritt. Und wenn Dir dieser klar ist, dann weißt Du automatisch, wie der Schritt davor aussehen muss.“ Und das Tolle ist: Das funktioniert tatsächlich. Und noch eines ist wichtig: Man soll die gegebenen Zu- und Umstände nie beklagen, sondern Wege finden, sie positiv zu ändern. Und wenn ich eingangs gesagt habe, dass wir Wege in die Zukunft denken, so tun wir das heute sicherlich konsequenter als vielleicht noch vor zwanzig oder mehr Jahren und ich behaupte, dass wir das auch effektiver tun.

Trotz eigener Konzernforschung arbeiten Sie auch mit Hochschulen oder Forschungseinrichtungen zusammen. Bei welchen Themen?

Liepert: Die Zusammenarbeit mit Lehr- und Forschungseinrichtungen – auch im internationalen Rahmen – hat bei Kuka eine lange Tradition, ebenso wie Forschungs- und Entwicklungskooperationen mit anderen Unternehmen. Die Projekte, die wir gegenwärtig verfolgen, sind von ihren Themen her mehrheitlich bei den vorhin genannten facettenreichen Megatrends angesiedelt, gehen aber auch darüber hinaus. Stichwortartig nennen möchte ich an dieser Stelle den Einsatz von Robotern im Bereich Health Care, neue Technologien zur Erfassung und Analyse großer Datenmengen, neue Sicherheitskonzepte für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter, die Steigerung der Energieeffizienz durch neue Antriebskonzepte und Werkstoffe, auch die Mechatronik ist immer noch ein brandaktuelles Thema.

Darf ich nochmals auf die Megatrends und ihre Verknüpfungen untereinander zurückkommen, von denen Sie gesprochen haben? Das alles sind technologische Trends mit einem Riesenbedarf an mobilen, autonomen, leichtgebauten, sichereren und sensitiv kollaborierenden Robotern. Warum eigentlich bleiben sie hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück?

Liepert: Dafür gibt es verschiedenste Gründe. Beispiel Servicerobotik: Klammern wir mal Consumer-Produkte wie rasenmähende und staubsaugende Geräte aus, sind wir beim Kernthema der Servicerobotik: mobile Roboterassistenten, die Menschen in der Industrie, in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Haushalten oder wo auch immer Arbeit abnehmen und sie unterstützen. Das ist aber kein Großseriengeschäft. Die Roboterlösungen, die in der Servicerobotik entwickelt werden, sind aufgrund ihrer jeweiligen Anwendungsspezifikationen aktuell noch für zahlenmäßig recht überschaubare Kundenkreise relevant. Deshalb amortisieren sich die doch sehr hohen Entwicklungskosten nur über angemessen realistische Verkaufspreise, die wiederum Investoren vielfach noch abschrecken. Außerdem scheuen Systemintegratoren vor den technischen und finanziellen Risiken, die sie bei derartigen Projekten eingehen könnten, zurück, denn Servicerobotik ist immer noch Neuland. Bei Industrie 4.0 wiederum bremsen weder hochpreisige Roboterlösungen noch in ihrer Kommunikationsfähigkeit eingeschränkte Roboter. Die Initiatoren von Industrie 4.0 haben deren Inhalte ziemlich frei interpretierbar gestaltet. Das Deutungsspektrum hinsichtlich Big Data, Data Ownership, Schwarmintelligenz und so weiter ist also jedem potenziell interessierten Unternehmen selbst überlassen. In mittelständischen und kleinen Unternehmen, die das Gros der deutschen Industrie ausmachen, herrscht ziemliche Unklarheit über diese Themen, über Digitalisierung, über die Sicherheit von Daten, die da in einer Wolke scheinbar verschwinden. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir von Kuka praktikable Industrie-4.0-Lösungen auch für den Mittelstand entwickeln. Und dabei sind wir schon auf einem recht guten Weg. Nicht ändern können wir jedoch, dass es mit Blick auf IoT in Deutschland flächendeckend überhaupt kein schnelles Internet gibt, damit Produktionssysteme in Echtzeit Daten austauschen und miteinander kommunizieren. Hemmnisse gibt es auch bei der mobilen Robotik, und zwar z.B. durch die unterschiedliche Normenlage bei Robotern und mobilen Plattformen, die den Einsatz der mobilen Roboter noch ziemlich einschränken. Als weiteres Hemmnis gilt immer noch die Programmierung und Inbetriebnahme von Robotern. Beides ist zwar schon recht einfach und komfortabel, aber offenbar noch nicht einfach genug. Es gibt zwar schon verschiedene, gute Ansätze, diesem Verlangen zu entsprechen – Stichwort intuitive Bedienung. Doch die Praxis zeigt, dass dies nur bei relativ einfachen Anwendungen funktioniert. Wir diskutieren aktuell über selbsterklärende User-Interfaces und über lernende Roboter.

Würden Sie sagen, dass Roboter hinsichtlich ihrer Mechanik weitestgehend ausgereizt und echte Innovationen nur noch aus dem Steuerungs- und Software-Bereich zu erwarten sind?

Liepert: Nein. Es gibt – getrieben durch MRK, mobiler Robotik, Care Robots und ähnliche Themen – einen erkennbaren Trend zu Leichtbaurobotern. Das macht auch Sinn, denn einen Cobot, der eine halbe Tonne wiegt, den kann ich mir noch recht gut in einer Fabrikhalle vorstellen, aber beispielsweise nicht in einem Wohnhaus, in dem sein Gewicht womöglich die zulässige Traglast einer Geschossdecke übersteigt. Die Kehrseite der Medaille ist: Man kann nicht über einen Leichtbauroboter mit fünfzehn oder zwanzig Kilo Eigengewicht nachdenken, solange Komponenten wie z.B. am Markt verfügbare Präzisionsgetriebe noch viel zu schwer sind. Da muss man sich andere Antriebslösungen einfallen lassen; bzw. führende Unternehmen aus dem Bereich Antriebstechnik einladen, um gemeinsam solche leichter bauende Lösungen zu entwickeln; am besten solche mit unbegrenzter Lebensdauer.

Und geht der Trend in der Robotik eher zu multifunktionalen Alleskönnern oder doch eher zu Geräten, die daraufhin entwickelt worden sind, eine spezielle Aufgabe bestmöglich zu erledigen?

Liepert: Diese Frage wird wahrscheinlich bei allen Roboterherstellern diskutiert, wobei ich der Meinung bin, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Es wird für industrielle Anwendungen solche Spezialisten geben müssen – denken wir nur mal an den Themenkomplex ‚Picken, Packen, Palettieren‘ oder an Applikationen für Schwerlastroboter. Dagegen sehe ich unsere Leichtbauroboter iiwa und iisy durchaus als multifunktionale Helferlein, und zwar sowohl in der Industrie als auch in der Servicerobotik, im Reha- und im Pflege-Bereich und so weiter.

Sie befürworten namens Kuka eine Robotic Governance. Was heißt das konkret?

Liepert: Robotic Governance definiert, simpel formuliert, einen Ordnungsrahmen für den verantwortungsvollen Umgang mit Maschinen – und damit auch Robotern -, die infolge der Fortschritte im Bereich Künstlicher Intelligenz in der Lage sind, selbständig Entscheidungen zu treffen und autonom zu handeln. Im Vordergrund stehen bei Robotic Governance ethische und moralische Aspekte, ähnlich wie bei Corporate Governance. Wir haben zu diesem Thema eine Erklärung formuliert, deren Tenor der Schutz von Menschen ist, die mit Maschinen bzw. Robotern zusammenarbeiten. Die in dieser Erklärung formulierten Maßgaben der Gefahrenvermeidung sind für uns weltweit bindend. Gerade der Aspekt der Künstlichen Intelligenz spielt bei der Robotic Governance eine ganz entscheidende Rolle. Es gibt dieses Bild des akribisch an der Kernspaltung arbeitenden Wissenschaftlers, der nach dem Abwurf der ersten Atombombe darüber sinniert, dass seine Arbeiten Vorschub geleistet hätten, die Büchse der Pandora zu öffnen, in welcher – der griechischen Überlieferung nach – alle Übel dieser Welt verschlossen sind. Genau deshalb muss man die Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz sehr intensiv beobachten. Nicht alles, was möglich ist, ist auch sinnvoll. Ein Beispiel: Ein mobiler Roboter, der einen Pflegepatienten ins Bad, in die Küche, zu einem Arzttermin oder bei Spaziergängen begleitet, macht durchaus Sinn. Er kann die Medikamente, die ein Arzt verschrieben hat auch entsprechend portionieren und an den Patienten übergeben. Der Roboter sollte immer der Assistent des Menschen sein. Das heißt, der Patient entscheidet, ob er die Medikamente einnimmt oder, wenn er es nicht kann, eben der Angehörige. (mli)

KUKA AG
www.kuka-ag.de

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