Roboter dichter am Mensch

Sicherheitstechnische Kraft/Druck-Messungen

Roboter dichter
am Mensch

Industrieroboter werden heute immer weniger durch Trennwände abgeschirmt. Kollaborierende Roboter rücken dichter an die Menschen, um mit ihnen Hand in Hand zusammenzuarbeiten. Das birgt allerdings Risiken und stellt hohe Ansprüche an die Steuerung. Nicht nur sind Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter zu treffen, sondern auch Kräfte und Geschwindigkeiten genauer zu kontrollieren.

 (Bild: ©ndoeljindoel/Shutterstock.com)

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Ein Beispiel aus der Praxis: Bei einem Automobilzulieferer im Saarland soll ein kollaborierender Roboter eingesetzt werden, um aus einer automatisierten Fertigung Teile zu entnehmen und zu sortieren. Dabei arbeitet er in unmittelbarem Kontakt zu Menschen – die er im ungünstigsten Fall am Kopf, am Oberkörper sowie an den oberen Extremitäten treffen und verletzen kann. Arbeitssituationen wie diese sind in Fabriken immer häufiger zu finden. Haben Roboter bisher meist strikt getrennt von Menschen gearbeitet, so nähern sich beide jetzt räumlich immer mehr an. Der zunehmende technische Fortschritt macht eine direkte Zusammenarbeit sinnvoller, Roboter können mittlerweile sowohl schwere als auch anstrengende Arbeiten exakt verrichten und damit die Menschen direkt unterstützen und entlasten. Die automatisierten Bewegungsabläufe erleichtern und verbessern viele Prozesse, dadurch wird Zeit und Energie eingespart – etwa, wenn ein Roboter schwere Werkstücke anhebt und so positioniert, dass ein Schweißer leichter daran arbeiten kann.

Gefährdungen minimieren

Bei allen Vorteilen erhöht eine solche räumliche Nähe jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass es früher oder später zu einer Kollision zwischen Mensch und Maschine kommt. Auch Sicherheitsmaßnahmen, Sensoren und Vorsicht können das nie ganz ausschließen. Wenn leistungsfähige Schwenkarme etwa schwere Werkstücke bewegen, kann ein Zusammenstoß erhebliche Verletzungen zur Folge haben. Deshalb sind jetzt Lösungen gefragt, wie die Vorteile der Kollaboration genutzt werden können, dabei aber gleichzeitig das Risiko für die Menschen eingedämmt wird. So wurden bereits jetzt relevante Normen überarbeitet, z.B. die Teile 1 und 2 der ISO10218 – darin sind die für Industrieroboter geltenden Sicherheitsbestimmungen festgelegt. Bei der Überarbeitung wurden kollaborierende Roboter als Anwendungsfeld ergänzt. Zudem entsteht derzeit die ISO/TS15066, die Vorgaben beispielsweise zur Risikobeurteilung, zu biomechanischen und ergonomischen Anforderungen sowie zu sicherheitstechnisch erforderlichen Kraftmessungen macht.

Präzise Messungen nötig

Um zu aussagekräftigen Ergebnissen für individuelle Arbeitsplätze zu gelangen, sind in den Betrieben sicherheitstechnische Kraft/Druck-Messungen erforderlich. Dazu müssen zunächst mögliche Gefahrenbereiche konkret definiert werden. Wie häufig halten sich Menschen tatsächlich im Gefahrenbereich eines Roboters auf? An welchen Körperstellen und mit welcher Kraft würde jemand bei einer Kollision getroffen werden? Solche Daten kann TÜV Süd Industrie Service mit einem biofidelen Messsystem liefern. In den Kraftaufnehmer des Messsystems können Federn mit verschiedenen Federraten eingebaut werden, die die Verformungskonstanten des entsprechenden Körperteils darstellen, so lässt sich die Stoßkraft bestimmten. Mit einer Druckmessfolie wird die Größe der Aufschlagfläche gemessen, die durch eine Verfärbung dargestellt wird. Ein Daten-Logger schließlich zeichnet die Messwerte auf, sie können zur Dokumentation gespeichert werden.

Konsequenzen bei hohem Risiko

Im Fall des Automobilzulieferers aus dem Saarland wurde TÜV Süd Industrie Service beauftragt, konkrete Gefahren im MRK-Betrieb aufzuzeigen und zu quantifizieren. Um Treffer am Kopf zu simulieren, musste die Feder im Messsystem eine Federkonstante von 75N/mm aufweisen. Laut BG/BGIA-Empfehlungen für die ‚Gefährdungsbeurteilung nach Maschinenrichtlinie – Gestaltung von Arbeitsplätzen mit kollaborierenden Robotern‘ liegt die maximal zulässige Stoßkraft für den Bereich des Kopfes bei 90N, Grenzwert bei der Flächenpressung ist 20N/cm². Im konkreten Beispiel lag der Messwert für die Stoßkraft jedoch bei 231N. Die Kraft verteilte sich auf eine Fläche von 7cm², dies entspricht einer Flächenpressung von 33N/cm². Beide Werte lagen also deutlich über den Anforderungen aus den BG/BGIA-Empfehlungen. Das macht in der Konsequenz Zusatzmaßnahmen erforderlich, um die Menschen, die mit dem Roboter zusammenarbeiten, vor Unfällen zu schützen. Als mögliche Maßnahmen kommen dabei eine Kraftbegrenzung des Roboters in Frage, eine Teilumhausung, damit nur Unterarm und Hand des Mitarbeiters getroffen werden können oder eine Reduktion der Geschwindigkeit und die Vergrößerung der Aufschlagfläche.

Fazit

Der Einsatz von kollaborierenden Robotern in Fabriken bringt große Vorteile für die Industrie und entlastet die Mitarbeiter. Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass die Menschen, die mit den Robotern zusammenarbeiten, so gut wie möglich vor Kollisionen geschützt werden. Entsprechende Messungen zeigen, wo die Gefahren liegen. Um sie entsprechend zu reduzieren, kann es nötig sein, dass ein Roboter nicht mit Einsatz seiner vollen Kraft oder Geschwindigkeit arbeitet.

TÜV Süd Industrie Service GmbH
www.tuev-sued.de

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