Neue ISO Technical Specification für Mensch/Roboter-Kollaboration
Sicherheit geht vor
Die Kollaboration von Mensch und Industrieroboter steht seit einiger Zeit als zentrales Thema im Fokus der Robotikbranche. Der Roboter als Produktionsassistent, der den Werker in einem gemeinsamen Arbeitsprozess unterstützt, eröffnet völlig neue Anwendungsbereiche und Einsatzmöglichkeiten. Dies bietet auch Automatisierungspotenziale für Unternehmen, die bisher noch keine Roboter eingesetzt haben.
Wichtiges Kernthema bei der Mensch/Roboter-Kollaboration ist nach wie vor die Sicherheit. Bisher – d.h. beim klassischen Robotereinsatz – sorgten die trennenden Schutzeinrichtungen (z.B. Schutzzäune) für den Schutz des Arbeiters vor mechanischen Einwirkungen und Verletzungen durch den Roboter. Bei der Mensch/Roboter-Kollaboration (MRK) werden die trennenden Schutzeinrichtungen durch andere technische Schutzeinrichtungen ersetzt. In allen Fällen einer MRK müssen Gefährdungen des Menschen durch Sicherheitsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Dabei muss die eingesetzte Technik bestimmten Sicherheitsanforderungen genügen. Grundsätzlich wird zunächst die Anwendung inklusive aller Randbedingungen und Bestandteile spezifiziert. Dabei sind in die Sicherheitsbetrachtung die vom Roboter bewegten Werkzeuge und Werkstücke mit einzubeziehen. Anhand einer anwendungsspezifischen Risikobeurteilung werden die geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen ermittelt und entsprechende Maßnahmen getroffen. Die Risikobeurteilung muss die verschiedenen Aspekte der MRK berücksichtigen. Dabei muss sowohl die sogenannte bestimmungsgemäße Verwendung, als auch die vorhersehbare Fehlanwendung durch Personen im Einflussbereich des kollaborierenden Roboters betrachtet werden.
ISO-Robotiknormen
Diesen wichtigen Zusammenhängen widmet sich die internationale Robotik-Normung. Die Vorgehensweise bei der Beurteilung der Applikation, wie auch die Beschreibung der sicherheitsbezogenen Anforderungen, sind im Detail in der ISO10218 beschrieben, die die Sicherheitsanforderungen bei der Gestaltung und dem Bau (Teil 1) sowie bei der Integration (Teil 2) von Industrierobotern beinhaltet. Roboter für MRK sollten über grundlegende Sicherheitsfunktionen nach ISO10218 verfügen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, erfolgt die Bewertung der Applikation. Detaillierte Inhalte zu Sicherheitsanforderungen bei kollaborierenden Industrierobotern sind, da die Technologie noch sehr neu ist, bei der Erarbeitung der 2011 veröffentlichten Neufassung der ISO10218 noch nicht eingeflossen, so dass beschlossen wurde, hierzu ein separates ISO-Dokument zu entwickeln.
Probanden sagen, wann es weh tut
Vor diesem Hintergrund wurde von internationalen Experten des für die Robotik zuständigen ISO-Gremiums (ISO/TC184/SC2 Robots and robotic devices) in den zurückliegenden Jahren eine ISO-Spezifikation erarbeitet – die ISO/TS15066. Zahlreiche Länder wie z.B. Großbritannien, Dänemark, Deutschland, Kanada, Japan, Schweden und die USA wirken in dieser Arbeitsgruppe mit. Die ISO/TS15066 definiert Sicherheitsanforderungen für den speziellen Anwendungsbereich der kollaborierenden Industrieroboter. Durch die unmittelbare Nähe zwischen Mensch und Industrieroboter beim kollaborierenden Betrieb ergeben sich Kollisionsmöglichkeiten. Ziel der technischen Schutzmaßnahmen ist es daher, das Kollisionsrisiko zu minimieren. Zur Bewertung möglicher Gefährdungsrisiken durch Kollisionen zwischen Roboter und Personen standen bei der Erarbeitung der ISO/TS15066 die Ermittlung biomechanischer Grenzwerte für die zulässigen Kontakte zwischen Mensch und Roboter im Vordergrund. Basis bei der Ermittlung war eine an der Universität Mainz in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) durchgeführte Studie. Mit einem speziell vom Institut für Arbeitsschutz (IFA) entwickelten Algometer wurden Schmerzeintrittsschwellen ermittelt. Hierzu wurde anhand eines speziellen Stößels, der nach Anforderungen von Roboterherstellern und Anwendern gestaltet war, Druck auf verschiedene Körperstellen von Probanden ausgeübt. Das Algometer wurde beim Übergang vom Druckgefühl in Schmerz gestoppt. Aus den Messergebnissen wurden Werte für den zulässigen Druck auf die verschiedenen Körperregionen definiert. Die Grenzwerte für die Kollision zwischen Mensch und Roboter hängen somit sowohl von der Druckverteilung als auch von den Körperregionen und der Art des Kontakts ab. Diese biomechanischen Grenzwerte sind ein wichtiger Bestandteil der ISO/TS15066.
ISO/TS15066 bereits veröffentlicht
Nachdem die Detailarbeit an der ISO/TS15066 Ende 2015 erfolgreich abgeschlossen wurde, ist das Dokument seitens ISO am 15. Februar 2016 veröffentlicht worden und beim Beuth-Verlag (www.beuth.de) erhältlich. Im Laufe dieses Jahres wird die turnusmäßige Überarbeitung der beiden Teile der Sicherheitsnorm ISO10218 beginnen. Im Zuge dieser bevorstehenden Revision ist angedacht, die erarbeiteten Inhalte der ISO/TS15066 in die überarbeitete Fassung der ISO10218 einfließen zu lassen. Als Fortsetzungsarbeit für die ISO/TS16066 findet momentan eine weiterführende Studie im Auftrag der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) am Fraunhofer-Institut für Fabrikplanung und -automatisierung (IFF) in Magdeburg statt. Anhand von Probandenversuchen werden unterschiedliche Kollisionsfälle und damit verbundene maximal zulässige Belastungsgrenzen untersucht. Ziel der Studie ist, einige der biomechanischen Grenzwerte, die momentan noch aus der Literatur stammen, zu verifizieren.