Vorschriften für kollaborierende Robotersysteme

Sicherheit in der Applikation

Beim Identifizieren von Gefährdungen muss die gesamte Applikation betrachtet werden. Neben dem eigentlichen Roboter sind daher auch die Roboterwerkzeuge, Werkstücke, Fördertechnik sowie alle beteiligten Vorrichtungen einzubeziehen. Grundsätzlich muss die Applikation so gestaltet werden, dass es bestimmungsgemäß nicht zu einem Kontakt zwischen Mensch und Roboter kommt. Im Falle eines unbeabsichtigten Eingreifens, z.B. aufgrund einer unvorhergesehenen Störung, dürfen bestimmte Grenzwerte für Kraft und Druck bei der Kollision nicht überschritten werden (biomechanische Grenzwerte). Diese Grenzwerte sind in der ISO/TS15066 festgelegt. Die biomechanischen Grenzwerte sind je nach Körperbereich verschieden, da die Brust, der Bauch oder auch eine Hand unterschiedliche Druckempfindlichkeit besitzen. Basis für diese Grenzwerte sind u.a. von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM), dem Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) geförderte Forschungsprojekte, deren Ergebnisse international anerkannt sind und in der internationalen Normung verankert wurden. Für die Bewertung von nach Risikobeurteilung möglichen Kontaktsituationen (z.B. im Bereich der Hände oder Schultern) stehen derzeit noch keine ausreichenden Simulations-Tools zur Verfügung. Daher sind Messungen unverzichtbar. Es sind immer beide Grenzwerte, für Kraft und für Druck, zu berücksichtigen. Wird einer der Grenzwerte überschritten, ist der Test nicht bestanden. In der Regel müssen dann die am Roboter eingestellten Sicherheitslimits für die Kraft in Verbindung mit der sicher überwachten Geschwindigkeit reduziert werden. Werden danach Werte weiterhin überschritten, muss die Konstruktion geändert werden: z.B. durch größere Flächen, verstärkte Polsterung oder federnd gelagerte Greifer. Für Scher-, Schneid- oder Stichgefährdungen existieren keine Grenzwerte. Die Applikation muss Gefährdungen dieser Art ausschließen. Ansonsten ist kein kollaborierender Betrieb zulässig. Wegen des möglichen direkten Kontaktes zwischen Person und Robotersystem muss es eine Einrichtung am Robotersystem geben, mit der sich Personen jederzeit selbständig befreien können. Viele Hersteller von kollaborierenden Robotersystemen lassen die Übereinstimmung ihres Produktes mit dem Regelwerk zusätzlich durch eine unabhängige Prüfstelle zertifizieren, wie der Prüf- und Zertifizierungsstelle Maschinen und Fertigungsautomation im DGUV Test bei der BGHM. Wichtig ist dabei, dass die Roboter in einer geeigneten und typischen Applikation überprüft werden. Nur so lässt sich feststellen, ob die oben genannten Grenzwerte auch unter Praxisbedingungen eingehalten werden. Für die Zukunft ist u.a. seitens der Roboterhersteller die Entwicklung von Simulations-Tools zu erwarten, die einen schrittweisen Verzicht auf Messungen ermöglichen.

Das muss der Betreiber beachten

Für den Betrieb von kollaborierenden Robotersystemen gelten zunächst die gleichen Anforderungen wie auch für sonstige Maschinenarbeitsplätze. Der Betreiber muss zusätzlich zu den für den Hersteller geltenden Anforderungen gemäß Arbeitsschutzgesetz vor Ort für die jeweiligen Einsätze bzw. Tätigkeiten der Beschäftigten Gefährdungsbeurteilungen durchführen, Schutzmaßnahmen ableiten, umsetzen und die Wirksamkeit kontrollieren. Ebenso müssen regelmäßige Unterweisungen durchgeführt werden. Die Vorgehensweisen sind zwar im Vergleich mit anderen Maschinenarbeitsplätzen dieselben. Bei Betrachtung der Gefährdungen gibt es jedoch einige Besonderheiten. So ist beispielsweise die Möglichkeit zum Befreien etwas Besonderes und muss erklärt werden. Auch das Hinzutreten Dritter muss im Betrieb geregelt werden. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch das Vorsehen sogenannter Wiederholungsmessungen. Die im Roboter hinterlegte Überwachung der biomechanischen Grenzwerte bei Kontakt zwischen Mensch und Roboter kann sich im Laufe des Betriebs der Anlage verändern, z.B. durch Verschleiß, Umbau, Umprogrammierung oder Teilewechsel. Um diese Veränderungen zu erkennen, müssen anlassbezogen und in regelmäßigen Abständen Wiederholungsmessungen von Kraft und Druck bei Kontakt durchgeführt werden. Eine vom Betreiber zusammengefasste Betriebsanweisung mit den wichtigsten Verhaltensanforderungen zum sicheren Betrieb ist auf jeden Fall empfehlenswert. Die Betriebsanweisung ist dauerhaft und gut sichtbar am Arbeitsplatz anzubringen. Vordrucke stehen bei der Berufsgenossenschaft zur Verfügung.

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Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM)
www.bghm.de

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